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Paradies - Über die Radikalisierung eines jungen Moslems in Club-Atmosphäre

29.11.2017

Die zweite Sparte des Düsseldorfer Schauspielhauses, das Junge Schauspiel, eröffnete am 23. September in der Münsterstraße 446 mit der Uraufführung von "Paradies" die diesjährige Spielzeit. Mina Salehpour inszeniert erstmals in Düsseldorf und trifft hier im Haus auf einen alten Weggefährten: den Intendanten des Jungen Schauspiels, Stefan Fischer-Fels, bei dem sie bereits in Berlin arbeitete und hier für eine ihrer Arbeiten den Deutschen Theaterpreis "Der Faust" erhalten hat. 

Worum geht’s? 
Hamid ist 19 Jahre alt und hat eine Aufgabe: er soll einen Feind töten. In einer Stunde soll er die Tat ausführen. Nun hat er endlich den richtigen Weg gefunden und ist vorbereitet. Doch in dieser einen letzten Stunde vor Mitternacht ist er ganz allein. Songs ziehen durch seine Gedanken und mit ihnen verschiedenste Erinnerungen. An seine Freundin Sonja, das erste Treffen im Secondhandladen. An die schönen Sommerferien mit der Familie in Trabzon, an Kirschen und Sesamkringel. An die guten Zeiten im Jugendklub, bis Sozialarbeiter Tayfun ihm und seinen "Brüdern" Hausverbot erteilte. Der Widerstreit der Stimmen in Kopf und Herz zerreißt Hamid fast - und dann ist die Stunde auch schon um. 

Bühnenbild: Als Zuschauer betritt man in Mina Salehpour's Inszenierung einen dröhnenden Clubsaal. Die umgebenden Wände haben himmlische und paradiesische Bildmotive. Sie unterstreichen die zentralen Fragen: Ist das Paradies erst durch den Tod erreichbar oder doch schon im Leben auf dieser Welt? Müssen dafür wirklich unschuldige Zivilisten, Andersgläubige, mit in den Tod gerissen werden? Und wie sieht das Paradies dann für mich aus? Fragen, die sich Hamid im Stück auch stellt.
Mitten im Club steht ein quadratisches Podest und darüber eine riesige Disco-Kugel. An der frontalen Seite ein DJ-Pult inklusive DJ. Das Publikum kann stehen, sich auf die eingerichteten Sitzbänke setzen, hocken oder auf dem Boden Platz nehmen. Die Nähe zum Geschehen und das Spielen der Darsteller um das Publikum herum, soll das Publikum teilhaben lassen und die Verbundenheit symbolisieren. Exzellent metaphorisch gedacht, aber die Zuschauer bleiben dennoch reine Zuschauer aus sicherer Distanz.

In diesem Stück sehen wir den radikalisierten Hamid eine Stunde vor seiner Tat und befinden uns hier inmitten seines Kopfes: Songs, Gedanken, Personen, die ihm in seinem Leben begegnet sind und ihn in vielfältiger Weise irgendwie beeinflusst haben, ziehen vorüber und tauchen auch mal ganz unverhofft und plötzlich auf. Mit beißendem Humor zeigt es uns ganz ernst welche Gedanken ihn kurz vor der Tat umhertreiben. 

Die Inszenierung zeigt uns ein Musterbeispiel für die Radikalisierung eines jungen Moslems, wie es so wirklich passiert sein könnte und für viele Einzelfälle steht. Der Pop-Islamismus wird hier deutlich aufgezeigt. Denn bis heute lassen sich junge Selbstmord-Attentäter und gewaltbereite Kämpfer mit bestimmten Paradieserwartungen locken, ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Die Frage ist nur, ob sich ihre Hoffnungen erfüllen werden. Auch Hamid fragt sich das.

Eine schöne, sehenswerte Inszenierung über ein sensibles Thema, das uns alle in Nordrhein-Westfalen, Deutschland, Europa und der ganzen Welt zunehmend betrifft. Der beißende Humor lockert immer wieder leicht die Stimmung auf und zeigt uns vor allem auch, wie bröckelig das Weltbild des Radikal-Islamismus sein kann. Beispielsweise die Parolen der Terroristen in ihren Videos. Empfehlenswertes Theaterstück im Jungen Schauspiel.

Paradies - von Lutz Hübner und Sarah Nemitz
Regie: Mina Salehpour, Bühne und Kostüm: Maria Anderski, Musik: Sandro Tajouri, Licht: Edgar Auell, 
Dramaturgie: Kirstin Hess
Mit: Paul Jumin Hoffmann, Julia Goldberg, Maelle Giovanetti, Kilian Ponert, Denis Geyersbach, Bernhard Schmidt-Hackenberg und Marco Schretter als DJ
Dauer der Aufführung: 1 1/2 Stunden, keine Pause
Altersempfehlung: Ab 14 Jahren 

Nächste Abendvorstellung: Samstag, 10. Februar, ab 19 Uhr 

von Marvin

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