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Ich rufe meine Brüder – Ein Grenzgang zwischen Einbildung und Wirklichkeit

28.02.2019

Ich war auf dem Heimweg, als ich dieses verdächtige Individuum erblickte. Es hatte schwarze Haare und einen ungewöhnlich großen Rucksack umgeschnallt. Das Gesicht war mit einen Pali-Tuch verhüllt. Ich rufe meine Brüder und ich sage: Es dauerte den Bruchteil einer Sekunde bis ich begriff, dass dies mein Spiegelbild war.

Wer ist Opfer, wer Täter? Was ist nur Fantasie und was blanke Realität? In seinem Theaterstück Ich rufe meine Brüder wirft der schwedische Autor Jonas Hassen Khemiri genau diese Fragen auf und zeigt, wie brüchig diese Grenze ist. In seinem Text verarbeitet Khemiri die Geschehnisse eines Attentats in Stockholm 2010. Uraufgeführt wurde sein Werk im Januar 2013 in Malmö. Im Schauspiel Köln hat sich nun der Regieassistent Till Ertener diesem Text angenommen und gibt damit im Rahmen der Inszenierungsreihe "Werkstücke" sein Regiedebüt. Premiere war am 27. Februar in der Grotte am Depot.

Amor ist ein junger schwedischer Mann – Student, Enkel, Freund, Cousin – der in einem Club auf der Tanzfläche steht. Er wird in dieser Nacht wiederholt von seinem besten Freund Shavi angerufen, der ihm von einem Terroranschlag in Stockholm erzählen will. Eine Autobombe ist explodiert, nach dem Täter oder der Täterin wird gefahndet. Amor selbst hat nichts mit dem Anschlag zu tun, er ist unschuldig. Doch am nächsten Tag beginnt er an seiner eigenen Unschuld zu zweifeln. Während er sich durch die Stadt bewegt, spürt er die vorverurteilenden Blicke der Passant*innen. Er will sich normal verhalten. Aber wie sieht man aus, wenn man sich ganz normal verhält? Die Grenze zwischen Täter und Opfer, Einbildung und Wirklichkeit verschwimmt. In tiefer Verzweiflung ruft er seine "Brüder" zusammen, die ihm zur Seite stehen sollen.

Zwei in schwarz gekleidete Männer mit Kapuzenjacken begegnen den Zuschauer*innen beim Hereinkommen. Der eine von ihnen steht nur da und beobachtet. Seine Blicke bohren sich durch die ihm entgegenkommenden Menschen. Der andere, eine unruhige und sehr große Gestalt, tigert durch das eintretende Publikum hindurch. Die kleine Spielfläche in der Grotte ist in blaues Licht gehüllt. Vereinzelt sind weiße Leuchtstoffröhren an der Decke und den Wänden befestigt, teilweise in Kombination mit hölzernen Latten. Daraus entsteht mal ein Fernseher, mal ein Spiegel. Das Team um Regisseur Till Ertener hat sich für ein sehr assoziatives Bühnenbild entschieden. Orte entstehen hier bestenfalls nur in dem Kopf des Publikums. Die Inszenierung verzichtet auf starke Bilder und rückt allein den Text in den Fokus. Meist kommunizieren die drei Spieler*innen nicht direkt miteinander, das Publikum wird als reflektierende Bande  miteinbezogen. Dabei wechseln sie regelmäßig zwischen direkter und indirekter Sprache, sprechen mal in der ersten mal in der dritten Person von sich. So wird das gesprochene Wort teilweise entpersonalisiert, mehrere Ebenen entstehen. Das wirkt durchaus unterstützend auf den Text, der danach fragt, was nur in dem Kopf des Protagonisten passiert und was die reine Wirklichkeit ist. 

Schauspielerisch überzeugt der Abend leider nicht. Eine klare Regiehandschrift oder ein -konzept ist nicht zu erkennen. Die Themen des Stücks – Rassismus, Islamophobie, Diskriminierung, Vorurteile, Stigmatisierung, Generalverdacht, Polizeikritik – gelangen meist nur durch das Gesprochene, nicht das Gespielte an die Oberfläche. Die weitgehende Unkreativität des Regisseurs hallt dem 75-minütigen Spiel nach. Dankbarer Applaus für eine Inszenierung, die über Mittelmaß bei Weitem nicht hinauskommt. 

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von Marvin

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