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Herero_Nama – Ein Theaterprojekt über den ersten Genozid im 20. Jahrhundert

28.03.2019

"Ich glaube, dass wir uns mit unserer Vergangenheit auseinandersetzen müssen und darüber hinaus mit unserer Zukunft. Mit den Hereros und Namas. Allein schon als Selbsterhaltung. Um zu verstehen, wo unser Weltbild eigentlich herkommt. Wie es zu diesen Verengungen in unserem Sichtfeld kommen kann, die dann zu den Zerfallserscheinungen in unserer Gesellschaft führen."

Die Debatte um den Kolonialismus, Postkolonialismus und das koloniale Erbe hat wieder Fahrt aufgenommen. Vor kurzem hat der französische Präsident Emmanuel Macron 26 Kunstwerke in die einstige Kolonie Benin zurücksenden lassen. Das hat vor allem auch die deutsche Bundesregierung in Erklärungsnot gebracht, denn sie versprach einst die Aufarbeitung des Kolonialismus. Passiert ist bisher nicht viel. Man hat sich vor allem hinter den anderen, vermeintlich größeren Kolonialmächten wie Frankreich oder Belgien versteckt. Auch in dem aktuellen Koalitionsvertrag haben die Regierungsparteien eine Aufarbeitung versprochen. Und dazu muss es auch kommen, denn Deutschlands Umgang mit dem eigenen kolonialen Erbe und der eigenen kolonialen Vergangenheit ist ungenügend. 

Auch auf deutschen Theaterbühnen wird das Thema verhandelt und in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Debatte gerückt. Am Schauspiel Köln hat sich Regisseur Nuran David Calis dem Thema gewidmet und sein Projekt Herero_Nama – A History of Violence inszeniert. Dabei widmet er sich gemeinsam mit Expert*innen und Schauspieler*innen dem Thema und schlägt eine Brücke vom Kapitel des deutschen Kolonialismus zur Gegenwart. Uraufführung war am 9. März im Depot 2.

In Herero_Nama steht der Völkermord an den Herero und Nama im Zentrum. Zwischen 1884 und 1915 war Namibia eine Kolonie des deutschen Kaiserreichs. In der Kolonie Deutsch-Südwestafrika begann mit der Ansiedlung der Deutschen die Entrechtung der beiden Völker. Von 1904 bis 1908 kamen während der Niederschlagung eines Aufstands, ausgelöst von dem General Lothar von Trotha, circa 90.000 Herero und Nama ums Leben. Historiker*innen bezeichnen diesen Vorgang als ersten Genozid des 20. Jahrhunderts. Erst im Sommer 2015 wurden die Ereignisse vom deutschen Auswärtigen Amt offiziell als Völkermord bezeichnet. Seitdem klagen Nachfahren der Herero und Nama vor einem New Yorker Gericht, weil sie an den Verhandlungen um Reparationszahlungen und einer offiziellen deutschen Entschuldigung offiziell nicht beteiligt sind. Deutschland lehnt Entschuldigungszahlungen an Hinterbliebene oder Nachkommen kategorisch ab. Vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass die Klage vom US-Gericht abgewiesen wurde.

In der Inszenierung von Nuran David Calis treffen die beiden Ensemblemitglieder Yuri Englert und Stefko Hanushevsky mit der Schauspielerin Shari Asha Crosson auf den Kulturanthropologen Julian Warner, auf Christel Bantam, eine Nachkommin der Nama und auf Israel Kaunatjike, einen Nachkommen der Herero. Der Theaterabend ist in drei Teile mit den Titeln "Eroberer", "... zuerst kommt der Himmel, dann folgt die Hölle" und "Europa" gegliedert. Er beginnt mit reichlich Dokumentation, Fotos und Archivmaterial aus der Kolonialzeit, und endet in einer reflexiven und kontrovers diskutierten Auseinandersetzung mit dem Thema in der Gegenwart, wo auch Probleme wie der strukturelle Rassismus in Deutschland behandelt werden. Die Bühne ist ein mosaikhaft zusammengesetztes Konstrukt: Links sehen wir eine Art "Besprechungsraum" mit einer weißen Wand im Hintergrund und einem großen Tisch mit sechs Stühlen. Rechts ist ein Wohn-/Esszimmerbereich entstanden, mit einem runden Holztisch, Stühlen, einem Beistelltisch und Kaffeegeschirr mit Kuchen. Im Hintergrund steht ein Klavier, das mit Kerzenlicht ausgeleuchtet ist. Im, zu Beginn verdeckten, Bühnenmittelpunkt steht eine riesige Fliesentreppe mit einem großen Podest, darüber hängen zwei bunte Kirchenfenster mit jeweils einem angedeuteten Auge. Und im Hintergrund ein riesiges Porträt von dem deutschen Kaiser Wilhelm. An den Seiten stehen dazu noch zwei Kirchenbänke. Die drei Schauspieler*innen tragen zu Beginn weiße Kutten, die Mönchskutten wie Gewändern des Ku-Klux-Klan ähneln, und weiße Masken. Sie treten auf als Missionare, die in der Rheinischen Mission Mitte des 20. Jahrhunderts nach Namibia gekommen sind.

Die Expert*innen des Abends stellen sich zu Beginn vor und verdeutlichen ihre Anliegen: Christel Bantam möchte Deutschland nicht anklagen, sondern nur Versöhnung. Israel Kaunatjike verfolgt das Ziel der Aufarbeitung der Geschichte und möchte das heutzutage noch mehr über die deutsche Kolonialgeschichte gesprochen wird. Der Kulturanthropologe Julian Warner stellt sich die Fragen, wie und was wir überhaupt erzählen können und wie die Vergangenheit in die Gegenwart geholt werden kann. In der Inszenierung wird viel mit Videotechnik gearbeitet: Zwei Live-Kameras fangen einzelne Szenen ein und zoomen aus verschiedenen Perspektiven heran. Diese Bilder werden dann auf die beiden vorderen Wände projiziert. Dazu liegt immer wieder Musik, ob live vom Klavier oder vom Band, unter dem Spiel auf der Bühne. Doch bequem wird es zu keinem Zeitpunkt: Es wird diskutiert, gefragt und visualisiert. Dabei kommen die persönlichen Geschichten der Expert*innen genauso zum Vortrag wie das Verhältnis der Schauspieler*innen zu dem Thema. Dass auf der Bühne auch drei Laien stehen, ist dabei überhaupt nicht störend - ganz im Gegenteil: Das sorgt für eine hohe Authentizität des Gesprochenen und die immer wieder reproduzierte Neuverhandlung des Themas auf der Bühne. Auch das Publikum wird in das Spiel auf der Bühne miteinbezogen, indem es konkret angesprochen wird: "Wir brauchen eure Untersützung und Hilfe. Kämpft an unserer Seite!". Aber mitdiskutieren darf es nicht, wird einem Zuschauer deutlich klar gemacht, der zuvor gefragt hat, ob sich das Publikum auch äußern darf. 

"Was ist der richtige Weg, damit auf der Bühne umzugehen?". Diese Frage stellen sich die sechs Akteur*innen auf der Bühne. Einen "Gewinner" aus den einzelnen Diskussionen gibt es nicht, das Ende bleibt stets offen. Jeder darf sich seine eigene Meinung bilden und eigene Schlüsse ziehen. Aber eines wollen alle: "Es muss vermieden werden, dass sich eine solche kriegerische Auseinandersetzung wiederholt". Anerkennender Schlussapplaus von Seiten des Publikums. Ein äußerst anregender Theaterabend, der praktisch allerdings keiner ist. Nichtsdestotrotz hat er ein wichtiges Thema in unserer Gesellschaft einen Abend lang in den Mittelpunkt gerückt. Man darf hoffen, dass die Politik das wahrnimmt und daraufhin Taten folgen lässt.

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von Marvin

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