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Die Jüdin von Toledo – Eine krachend scheiternde Liebesgeschichte

30.04.2019

Raquel Ibn Esra bin ich, aus dem Geschlecht von David, erzogen im Glauben an den Propheten Mohammed. Mir wurde ein gefährliches Glück zuteil, schwanger zu sein von einem Christen-König.

Spanien im 12. Jahrhundert. Die christlichen Fürsten Europas bereiten einen neuen Kreuzzug gegen den Islam vor, der auch die muslimischen Städte Spaniens erobern soll. Während die Juden in Spanien ihren diplomatischen und wirtschaftlichen Einfluss einsetzen, um den Frieden zu sichern, werden sie überall in Europa bereits brutal verfolgt. Mittendrin der jüdische Kaufmann Jehuda Ibn Esra und seine schöne Tochter Raquel, die vom christlichen König Alfonso von Kastilien heftig umworben wird, als Vater und Tochter von Sevilla nach Toledo auswandern müssen und in seinem Reich eine neue Heimat finden wollen.

Die Jüdin von Toledo heißt der 1955 erschienene historische Roman von Lion Feuchtwanger, der jene legendenhafte und fatal scheiternde Liebesgeschichte zwischen König Alfonso von Kastilien und der Jüdin von Toledo erzählt. Am Schauspielhaus Bochum hat sich der neue Intendant Johan Simons diesen Roman für die Eröffnungspremiere der neuen Spielzeit 2018/19 ausgesucht und ihn in einer Bühnenfassung von Dramaturg Koen Tachelet selbst inszeniert. Premiere war am 1. November 2018 im Schauspielhaus.

Für die Inszenierung von Johan Simons hat Johannes Schütz (In Düsseldorf zuletzt: Die Göttliche Komödie, Premiere 2. Juni 2018) das Bühnenbild kreiert. Über der Drehscheibe der Bühne, die fast ununterbrochen den ganzen Abend über in Bewegung ist, schwebt eine Mauer, eine weiße Wand. Das sorgt für eine große Dynamik, denn alles und alle sind dadurch immer in Bewegung. Und wer die Drehbühne verlässt, ist automatisch raus aus dem Spiel. Die Spieler*innen sind somit verdammt, immer in Bewegung zu bleiben. Eine zentrale Regie-Entscheidung war es auch, die Rollen nicht alle gleichermaßen geschlechterkonform zu besetzen. Das spiegelt sich zum Teil auch in den Kostümen (Kostüm: Greta Goiris) wider, denn auch Männer können hier Röcke tragen. Über der Mauer, mit der alle Figuren ständig konfrontiert sind, liegt zu Beginn ein schwarzer Schleier. Dieser wird am Anfang des Abends, an dem Simons die Atmosphäre Spaniens im 12. Jahrhundert zeichnet, von den Spielerinnen und Spielern heruntergerissen und in kleinste Teile zerfetzt. Es herrscht Krieg, in dessen Zentrum vor allem die drei monotheistischen Religionen stehen. Zwischen ihnen wird um die jeweiligen Interessen, Probleme und Weltanschauungen gerungen. Die zehn Darsteller*innen des paritätisch zusammengesetzten Ensembles sind fast durchgehend auf der Bühne. Wer nicht spricht, sitzt, liegt, lauscht, beobachtet, unterhält sich leise, betet oder schläft. Im Mittelpunkt des Treibens stehen Hanna Hilsdorf (Raquel) und Ulvi Erkin Teke (Alfonso VIII.), die ihre Figuren in Extreme verkörpern und so dem Zuschauer schon die Vorahnung geben, dass sie in ein großes Unglück rauschen werden. Sie, eine junge Frau, hübsch anzusehen, quirlig, sprunghaft, ja fast schon wild. Er, ein junger Mann, beinahe bubenhaft, berauscht, kriegslustig, kampfesmütig. "Ich bin der stärkste Ritter Spaniens, doch bei dir bin ich schwach", räumt er ein, nachdem er Raquel kennengelernt hat. Dem textlastigen Spiel auf der Bühne liegen dabei Hintergrundgeräusche wie Hundejaulen oder die Geräusch des Straßenverkehrs bei. Eine Klangkulisse, die sich von der Bühnentiefe aus über den Zuschauersaal erhebt. Es sind solche Details, die das Theaterstück ab und zu in die heutige Zeit holen, ohne jedoch den alleinigen historischen Bezug des Romans zu verlieren. 

Nach der Pause fällt die weiße Mauer dann, besser: Sie wird eingerissen. Vorzugsweise die Männer zerschlagen die Mauer mit großen Eisenstangen ehe sie in größere Kleinteile zerbricht. Diese werden dann von den Frauen am Boden in allerkleinste Splitter zertrümmert. Ein großer Scheinwerfer strahlt nun von vorne unten weißes Licht über die Bühne. Die Geräuschkulisse nimmt überhand und das Plateau, auf dem gespielt wird, rollt nach hinten und erhebt sich über den Köpfen der Spielerinnen und Spieler. Alfonso ist am Boden, während sich die anderen gerade noch so auf dem Plateau halten können, ehe auch sie dem Abgrund entgegenrutschen. Und mit ihnen der gesamte weiße Schutt der Mauer, der Stadt, des Landes, des Kontinents. Ein überbordendes, bildgewaltiges Momentum. Das Plateau erhebt sich soweit, bis es beinahe senkrecht steht und der Kreis der Drehplatte sichtbar wird. Die Mauer, bzw. das was von ihr übrig ist, schwebt demoliert über dem Chaos. Alle sind tot, nur Alfonso und seine Frau haben überlebt. Er, jetzt völlig in Kindeszustand versetzt, gibt ihr erhobenen Fingers die Schuld an allem und weist jede naiv und stur von sich. Und am Ende bleibt nur die große Dunkelheit, das Nichts, welches schließlich dann auch mit den letzten Tönen der Musik verschluckt wird. Ein starkes Stück, das mit langem, lautem Applaus nach drei ein viertel Stunden höchster schauspielerischer Kraftleistung vom Bochumer Publikum gewürdigt wird.

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von Marvin

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