Faserland – Ein Roadtrip von Sylt bis Zürich
23.04.2019
Links und rechts der Straße rast Sylt an uns vorbei, und ich denke: Sylt ist eigentlich super schön. Der Himmel ist ganz groß, und ich habe so ein Gefühl, als ob ich die Insel genau kenne. Ich meine, ich kenne das, was unter der Insel liegt oder dahinter, ich weiß jetzt nicht, ob ich mich da richtig ausgedrückt habe. Ich kann mich natürlich auch täuschen.
Ein junger namenloser Mann, Ende zwanzig. Ein schnöseliger Trinker. Einer, der mit dem Blick zurück vorwärts durch die Bundesrepublik irrt. Seine Reise beginnt im nördlichen Sylt, wo die hochnäsige Gesellschaft ihren Urlaub verbringt, und endet schließlich im südlichen Zürich in der Schweiz. Er lässt sich treiben und ist doch auch irgendwie ein Getriebener. Faserland heißt der Roman, der seinen Autor Christian Kracht einst berühmt gemacht hat. Es war sein Romandebüt, der nach der Veröffentlichung 1995 für einige Kontroversen gesorgt hat. Heute zählt sein Buch zu den Klassikern der deutschen Gegenwartsliteratur und wird auch gerne als Schullektüre gelesen. Am Düsseldorfer Schauspielhaus wurde der Roman nun als szenische Lesung mit Niklas Mittereger, Schauspielstudent des Mozarteums Salzburg, der derzeit sein letztes Studienjahr mit einigen seiner Kommiliton*innen am Haus absolviert, auf die Bühne gebracht. Regie führte Fabian Rosonsky, der zuletzt im Central auf der Brücke Kurze Interviews mit fiesen Männern (Premiere: 27. September) und im Jungen Schauspiel Die Leiden des jungen Werther (Premiere: 3. Februar) inszenierte. Premiere und einzige Vorstellung in Düsseldorf war am 23. April auf der Brücke im Central.
Auf seiner Reise begegnet der namenlose Ich-Erzähler zahlreichen Bekannten. Doch eigentlich ist er angewidert von den Menschen, seiner Umgebung, dem Land und der Zeit. Er ist häufig betrunken, hat Geld ohne Ende, Stil, nur Halt im Leben, den hat er nicht. Und so lässt er sich treiben, immer weiter und weiter. Den Blick nicht auf sich gerichtet, sondern stets auf andere. Einer, der den Blick in den Spiegel meidet. Ein einsamer Zyniker, ein genauer Beobachter, der das Bild einer Generation zeichnet, dessen Teil er doch selbst ist.
In Fabian Rosonskys Inszenierung auf der Central-Brücke findet das Spiel in einer Arena-Kulisse statt. Das Publikum sitzt auf Stühlen in einem Kreis. Vier kleinere Szenerien zeichnen die Spielfläche: Zwei in der Mitte und zwei in den Sitzkreis der Zuschauer*innen integriert. Rechts ein tiefer Sessel, davor eine Minibar mit einem Whiskeyset drauf: Ein Glas und eine Flasche. Links ein Zweisitzer, daneben eine Stehlampe und davor ein alter Röhrenfernseher auf einem Rollbrett. In der Mitte rechts ein kleines Plateau mit einer Toilette und einem metallischen Beistelltisch. Links in der Mitte eine schwarze elegante Liege, daneben ein Tisch mit einer Schreibtischlampe drauf. Wie auf der Reise des Ich-Erzählers wechselt Niklas Mitteregger zwischen den einzelnen Szenerien hin und her und bebildert so den Roadtrip. Sein Kostüm besteht aus einem weißen Hemd, einer blau-weiß gestreifte Anzughose und dunklen Stoffschuhen. Zudem trägt er einen gelben Bugatti-Pullover, der elegant um seinen Oberkörper gebunden ist. Aber nicht nur sein Outfit passt perfekt zu seiner Figur, sondern auch seine Mimik, Gestik und sein Spiel. Mit weit aufgerissenen, gläsernen blauen Augen tigert er wie ein Gejagter in der Arena. Ein ganz hibbeliger, schnöseliger Typ, den Mitteregger grandios verkörpert. Nach 1 1/2 Stunden Solo-Performance steht nicht nur bei ihm der Schweiß auf der Stirn: Die Bedingungen auf der Brücke im Central sind hochsommerlich. Und auch nur daran liegt es, dass einem nach einer guten Stunde etwas die Puste und Konzentration ausgeht. Denn die Inszenierung schafft es sowohl den Text als auch Mitteregger zum Leuchten zubringen. Ein weiterer gelungener Monologabend, den Regisseur Fabian Rosonsky auf der alternativen Spielstätte im Central eingerichtet hat. Und auch Mitteregger beweist, dass er bereits vor Studienabschluss ein begnadetes Schauspieltalent ist, das ab der kommenden Spielzeit das Münchener Publikum am renommierten Residenztheater beglücken darf. Großer Applaus!
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