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Dschabber – Eine ungeahnte wie zum Scheitern verurteilte Liebesgeschichte

17.05.2019

„Kennt ihr das, wenn man den Blick von jemandem auffängt, nur ganz kurz, und man sieht genau, was in ihren Köpfen vorgeht? „Boah, was soll das Kopftuch? Bestimmt muss sie das tragen. Ist das ne Terroristin? Bestimmt ist die voll still und schüchtern“.

Fatima ist 16 Jahre alt und eine selbstbewusste junge Muslima, die sich bewusst dafür entschieden hat, den Hidschãb zu tragen. Vor zwei Jahren ist sie mit ihrer Familie aus Ägypten geflohen und lebt seitdem in Deutschland. An das Leben hier hat sie sich mittlerweile gewöhnt, auch wenn sie gelegentlich ihre Heimat vermisst. An ihrer Schule ist sie Teil einer Mädelsclique, die sich die "Dschabber" nennt. Doch als ein anti-muslimisches Graffiti an dem Schulgebäude auftaucht, ändert sich einiges für sie: Ihre Eltern nehmen sie aus Sorge um ihr Kind von der Schule und schicken sie auf eine neue Schule. Dort vermisst sie natürlich ihre Clique und muss sich dann auch noch mit Jonas, einem ihrer neuen Mitschüler, herumschlagen.

Dschabber heißt das Theaterstück des kanadischen Autors Marcus Youssef, das unaufgeregt und einfühlsam von der Begegnung zweier Jugendlichen erzählt, die sich durch ihre kulturellen Unterschiede gewaltig unterscheiden und doch irgendwie zueinander finden. Das Stück wurde im September 2012 in Montreal uraufgeführt, ehe es im vergangenen November am Grips Theater Berlin deutsche Erstaufführung feierte. Regie führte Jochen Strauch. Nun wurde die Theaterinszenierung, die für Jugendliche ab 13 Jahren empfohlen wird, zu den Ruhrfestspielen Recklinghausen eingeladen. Zusehen war das Stück in einer Doppel-Vorstellung am 17. Mai im kleinen Haus des Ruhrfestspielhauses. 

Jonas, Fatimas neuer Mitschüler, ist ein unberechenbarer Typ, ein Haudegen, ein Rabauke. Einer, der mit seinem Verhalten, einer Mischung aus Ignoranz und Hartnäckigkeit, mächtig nerven kann. Doch gerade weil die beiden auf den ersten Blick so unglaublich viel trennt, bemerken die sie, dass etwas zwischen ihnen ist, was sie zu verbinden scheint. Es entspinnt sich eine vorsichtige Liebesgeschichte, die an der Reaktion ihrer Umgebung zu scheitern droht.

Jochen Strauchs Inszenierung setzt die Geschichte in ein Ein-Raum-Setting, das zugleich Schule als auch Jugendzimmer sein kann. Eine graue Wand und ein grauer Boden verleihen dem Raum eine Grundneutralität. Neben an der Wand befestigte Kleiderhaken und einigen Stühlen ist die Spielfläche leer. Die Seitenwände sind offen, es gibt nur eine Rückwand, die durch zwei Türen passiert werden kann. Rechts ist zudem der Musiker Thilo Brandt positioniert, der mit seinem Schlagzeug den rund 75 Minuten langen Theaterabend begleitet. Das Stück wird von den Schultern dreier Schauspieler*innen getragen, die alle Figuren verkörpern. Gerade die schnellen Rollenwechsel mit der voranpeitschenden Musik geben dem Stück ein hohes Grundtempo vor und es macht Spaß, ihnen dabei zu zu sehen, wie sie kleinere Umbauten vornehmen oder in neue Kostüme bzw. Rollen steigen. Da wirken die ruhigen Szenen wie sanft ausgebremst und geben den Dialogen und dem Spiel ausreichend Platz. Direkt zu Beginn wird die vierte Wand aufgebrochen und das junge Publikum unmittelbar angesprochen. Den Spieler*innen ist es durch die Stückvorlage möglich, auch ihre eigene Haltung zur Geschichte herauszustellen. Ihre Sätze beginnen hier mit "Sagen wir, ...". Das sorgt dafür, dass das fiktiv-reale Setting bei den jungen Zuschauer*innen entstehen kann. Zudem sind alle Darsteller*innen (plus Musiker) stets auf der Bühne. Wenn sie nicht gerade im Mittelpunkt stehen und spielen, sitzen sie an der Seite der Spielfläche und beobachten und kommentieren durch ihren Körper das Geschehen. 

Die Diskriminierung und Rassismen, mit der die junge Fatima regelmäßig konfrontiert wird, werden hier zwar reproduziert, aber durch die gegensätzliche Figur von Fatima völlig durchbrochen. Denn die gerne aufgesetzten Klischee-Muster funktionieren bei ihr nicht: Sie ist weder schüchtern, noch wird sie von ihrer Familie dazu gezwungen, das Kopftuch zu tragen. Die große Stärke des Textes entfaltet sich vor allem auch bei der Figurenkonstruktion. Denn die gewalttätige Vaterfigur erwartet der Normalbürger wohl eher bei der Familie von Fatima, aber nicht bei der Familie von Jonas. Es ist eine durch und durch moderne Welt, die hier konstruiert wird. Durch eine Videoprojektion werden unter anderem Chatverläufe, inklusive Avatare, Memes, Emojis, Boomerangs, und Instagram-Profile auf die Bühnenrückwand geworfen. Das macht das Gesehen vor allem für die jungen Zuschauer*innen nahbar, was man auch an deren extrovertierten Reaktionen spüren kann. So wird die moderne Romeo-und-Julia, Junge-trifft-Mädchen-Geschichte berührend erzählt und zieht Jung und Alt soghaft mitten ins Geschehen rein. Nicht zuletzt dank der überzeugenden Darbietung der drei Schauspieler*innen Nina Reithmeier, Patrik Cieslik, Marius Lamprecht und des Musikers Thilo Brandt. Ein Abend, der zu denken gibt! 

***Noch mehr #Theatertipps findet ihr auf youpod.de/theater.***

von Marvin

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