Jedermann Reloaded – Philipp Hochmairs furiose Solo-Performance
28.05.2019
Die Welt ist dumm, gemein und schlecht
Und geht Gewalt allzeit vor Recht,
Ist einer redlich, treu und klug,
Ihn meistern Arglist und Betrug.
Mit diesen Worten geht der Teufel ab, nachdem er nicht bekommen hat, was er wollte: Jedermanns Seele. Voller Überzeugung wollte er dessen schuldbeladene Seele einkassieren und mit ihr gen Hölle fahren. Doch es kam anders: Gottes Gnade entriss sie ihm in letzter Sekunde. Gut für Jedermann, der nun reinen Gewissens vor den göttlichen Richterstuhl treten kann, schlecht für den Teufel, der auf dessen Seele nun verzichten muss. Eine überraschende Wendung im Leben des Jedermanns, der nun nicht mehr alleine, sondern in Begleitung des Glaubens und der guten Werke stehen kann.
Jedermann heißt das Theaterstück von Hugo von Hofmannsthal, das zu den Festspielklassikern gehört. Es wurde am 1. Dezember 1911 unter der Regie von Max Reinhardt in Berlin uraufgeführt. Seit 1920 wird das Stück jährlich bei den von Hofmannsthal und Reinhardt begründeten Salzburger Festspielen gezeigt. Die Titelrolle des Jedermann gilt in der Theaterwelt als eine Ehre, die nur den berühmtesten Theaterschauspielern zuteil wird. So auch Schauspielstar Philipp Hochmair, der im Sommer 2018 kurzerhand für den erkrankten Tobias Moretti einspringen durfte. Von Publikum und Fachpresse wurde er für seinen Auftritt gebührend gefeiert. Doch das war nicht Hochmairs erste Beschäftigung mit der Figur des Jedermann. Bereits 2013 ging er mit seiner Performance Jedermann Reloaded an den Start, die seitdem regelmäßig weiterentwickelt wird. Zusammen mit der Band Die Elektrohand Gottes schuf er ein rockiges Sprech-Konzert, das schon 2019 bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen zu sehen war.
Zurück an den Anfang: Gott beschwert sich über die Menschen, die sich von ihm abwenden und nicht mehr an ihn glauben. Er beschließt, den Tod auf die Erde zu schicken, damit dieser Jedermann holt und ihn vor seinen göttlichen Richterstuhl bringt. Gott möchte an ihm ein Exempel statuieren. Jedermann ist einer, der eine unstillbare Gier nach Geld, Liebe und Rausch hat. Er geizt mit seinem Reichtum, verweigert sich der Hilfe von Armen und begnügt sich mit Liebschaften. Als der Tod vor Jedermann steht, möchte dieser nicht mit vor Gericht und bittet um Aufschub. Er erhält eine Stunde Zeit jemanden zu finden, der ihn vor Gericht begleitet und für ihn spricht. Doch keiner seiner Freunde, Bekannten oder Verwandten wollen mit ihm kommen. Nicht mal sein Reichtum will ihn begleiten. Er ist einsam und verzweifelt. Da kommt ihm eine alte, gebrechliche Frau entgegen, die sich als "seine Werke" zu erkennen gibt. Doch aufgrund ihrer Verfassung kann sie ihn nicht vor Gericht begleiten. Sie verweist ihn an ihre Schwester "Glaube". Der Glaube rät ihm, um Gottes Gnade zu bitten. Das tut er und weil sein Glaube an Gott wieder wächst, wird "Werke" wieder stark und will mit vor Gericht kommen. So kann der Teufel Jedermann nicht mitnehmen. Wenig später kehrt Jedermann völlig gereinigt zurück und kann nun ruhigen Gewissens in Begleitung von "Glaube" und "Werke" vor den göttlichen Richterstuhl treten.
Der Bühnenraum ist dunkel. Überall verteilt stehen rote und weiße Grablichter, auf die Bühnenrückwand ist in gotischer Schrift das Wort "Jedermann" projiziert. An der Bühnenrampe stehen zudem kleine und größere Holzkreuze und ein menschlicher Totenschädel. Die Nebelmaschine schickt große Nebelschübe gen Himmel, in denen die zarten Lichtstrahlen gebrochen werden. Dann kämpfen sich die drei Musiker der Band durch die Dunkelheit zu ihren Instrumenten und machen mächtig Lärm. Ihre Dreieckskonstellation wird nach einiger Zeit dann von dem Mann durchbrochen, auf den das Publikum schon sehnsüchtig gewartet hat: Philipp Hochmair. Er stapft Zigarre rauchend auf die Bühne. Als es heller wird, ist seine ganze Gestalt zu erkennen: Er trägt eine halb offene Feldbluse und Hose im Flecktarn-Stil, schwarze Springerstiefel, mächtig Goldschmuck um den Hals und die Finger, einen glitzernden Totenkopf-Gürtel und hat pechschwarz umrandete Augen. Und wenn er zum ersten Wort ansetzt, ist klar: Jedermann ist da. In einer furiosen Solo-Performance, unterstützt durch die zu Beginn dröhnende Rockmusik der dreiköpfigen Band, spielt er alle Rollen und schafft es durch kleine Detailveränderungen, Wiederholungen und Stimmverzerrer, glaubhaft auch die anderen Figuren zum Leben zu erwecken. Unterstützt wird das ganze durch Videoeinblendungen der Namen, die er gerade spielt. Es ist ein Theaterkonzert, das ganz ohne Gesang auskommt. Hochmair setzt den Text auf die Musik drauf und schafft so eine besondere Saalatmosphäre. Die Treppe von der Bühne herab in den Zuschauersaal wird von ihm öfters benutzt. Einmal verschwindet er mit einer Bierflasche in der Hand im Zuschauerraum und brüllt gen Bühne "Zu laut! Buh!". Das sehen offenbar auch einige alte Zuschauer*innen so und verlassen bereits in der ersten halben Stunde den Theatersaal. Sie können einem Leid tun, denn so verpassen sie eine großartige Performance, die mit der Lautstärke und Härte der Musik bricht. Denn wenn es um den Tod und Jedermann geht, wird die Musik mitreißender, fantasievoller und packender. Und am Ende steigt Hochmair nicht gen Grab herab, sondern schleicht in tiefster Dunkelheit, ein Grablichtlein dem Himmel entgegenstreckend, die Saaltreppen herauf und verschwindet in der Masse der Menschen. Großer Applaus und stehende Ovationen für den Ausnahmeschauspieler Philipp Hochmair und seine fantastische Band Die Elektrohand Gottes!
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