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Mongos – Zwei Jungs geben in der Rehaklinik mächtig Gas

16.05.2019

Seine Behinderung. Seine Macken. Seine Makel. Seine Fehler. Der Mensch besteht aus seinen Einschränkungen. Für das meiste können wir nichts. Angeboren. Erblich bedingt. Doch werden wir danach beurteilt.

Francis humpelt auf Krücken, denn er hat Multiple Sklerose. Ikarus sitzt seit Kurzem im Rollstuhl, weil er querschnitts-gelähmt. Die beiden Jungen lernen sich in der Reha-Klinik kennen und werden nicht nur schnell beste Freunde, sondern ziehen innerhalb der Klinik auch zusammen in eine Wohngemeinschaft. Gezeichnet von ihren Behinderungen sind sie doch grundverschieden: Francis ist eher der stille verkopfte Poet-Typ, der aus seiner Beeinträchtigung mehr und mehr Kraft zuziehen scheint. Ikarus hingegen ist ein Großmaul der ersten Reihe, der scheinbar nur Sex und Frauen im Kopf hat und durch seine unsensiblen Beleidigungen wie "Spasti", "Mongos" und "Schwuchtel" auffällt. Aber genau das scheint die beiden so zusammen zu schweißen, denn sie ergänzen sich hervorragend. Die dicken Kumpels erzählen die Geschichte ihrer Freundschaft – von Anfang an.

Mongos heißt das Theaterstück, das von Schauspieler und Bühnenautor Sergej Gößner verfasst worden ist. Das 2017 erschienene Stück über zwei Jungs, die mit ihren Behinderungen mehr oder weniger zu kämpfen haben, ist Gößners erstes Werk. Uraufgeführt wurde es am Theater Magdeburg am 10. Februar 2017. Regie führte Grit Lukas. Mongos wurde 2018 mit dem JugendStückePreis des Heidelberger Stückemarkts ausgezeichnet. Nun wurde das Stück im Rahmen der Mülheimer Theatertage 2019 gezeigt. Aufführung war am 21. Mai im Theater an der Ruhr.

Die zwei Freunde, die in ihrer 12m² großen WG hausen, durchleben die typischen Phasen einer Pubertät und werden mit ebendiesen Themen konfrontiert: Dates, das erste Mal, Rauchen. Sie gehen gemeinsam ins Kino, geben sich Tipps und sind füreinander da. Als sich Francis Krankheitsbild verschlimmert und er fortan auch auf den Rollstuhl angewiesen ist, fängt ihn sein Kumpel Ikarus auf, lenkt ihn ab und macht ihm Mut. Umso härter trifft es Ikarus im Folgenden, als Francis aus der Klinik entlassen wird und nachhause darf. Er fühlt sich von Francis verlassen und ist maßlos enttäuscht, die Freundschaft zerbricht. Ikarus erkennt den wahren Wert ihrer Freundschaft erst, als es schon zu spät ist. Denn am Ende erliegt Francis seiner Krankheit und der große Schmerz bricht über Ikarus herein.

In der Inszenierung von Grit Lukas ist die Bühne zu Beginn leer. Die Seiten sind mit schwarzen Vorhängen abgedunkelt, der Boden ist auch schwarz. Den Raum füllen allein die beiden Schauspieler Philipp Quest und Alexander von Säbel, die mit wenigen gegenständlichen Mitteln ihr Spiel veranschaulichen: Zwei Krücken, ein bzw. zwei Rollstühle und kleinere Requisiten, die sie unter anderem aus einer Verkleidung der Räder an Ikarus Rollstuhl quasi hervorzaubern. So steht vor allem der tolle Text und die grandiose schauspielerische Leistung in diesem Zwei-Personen-Stück im Fokus. Mit starker Musik und diversen Lichtstimmungen und -effekten (Diskokugel, eine rechteckige Lichtprojektion wird zur Kinoleinwand) wird das Bühnenspiel unterstützt. Die beiden Darsteller sind in schwarz-weiße Sportkleidung gehüllt und passen sich so farblich ihrer Umgebung an. Das Besondere an dem Stück sind vor allem die Anzahl der Figuren, vier an der Zahl, die von den beiden Schauspielern verkörpert werden. So gelingt es, dass teils im Bruchteil einer Sekunde die Rolle gewechselt und durch kleine, spielerische Details eine neue Figur zum Leben erweckt wird. Philipp Quest springt dabei neben seinem Hauptcharakter Francis in die Rolle des Psychologen und des Mädchens Jasmin. Als die Geschichte am Punkt des Bruchs ihrer Freundschaft angelangt, will Ikarus die Geschichte nochmal von vorne erzählen: "So stimmt es nicht ganz". Doch da spielt Francis nicht mit, so einfach geht das nämlich nicht. Man kann nicht einfach alles rückgängig machen und Dinge in einem anderen Licht erscheinen lassen. Es kommt wie es kommen muss: Unausweichlich stößt er Jasmin und Francis von sich und die Männer-Freundschaft zerbricht. Erst als er vom Psychologen erfährt, dass Francis im Koma liegt, begreift er, dass es für eine Reunion endgültig zu spät ist. "Kommst du zurück?", fragt er daraufhin Francis. Einzig ein Brief von Francis an ihn bleibt Ikarus. So springt die Inszenierung ein letztes Mal zurück an ihren Anfang, an dem Francis ein eigenes Gedicht vorträgt, das nun in einem ganz anderen Licht steht. Ikarus will aus seinen Fehlern lernen, nimmt all seinen Mut zusammen und ruft Jasmin an, das Mädchen, in das er sich zu Klinik-Zeiten verknallt hatte. Vielleicht lässt sich diese Wunde wenigstens noch schließen.

Ein großartiger Theaterabend, der einfach alles zu bieten hat: Momente, die einen zum Lachen und zum Weinen bringen, großartige Schauspieler, ein toller Stücktext, ein offenes Ende, das ungelöste Rätsel aufgibt und ein beseeltes Gefühl, wenn man den Theatersaal verlässt. Großer Applaus nach 75 Minuten für Mongos

von Marvin

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