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Fanny und Alexander – Ein düsteres Familiendrama mit glücklichem Ausgang

11.07.2019

Heute vor einem Jahr starb mein Mann. Er wollte, dass wir weitermachen, und wir haben weitergemacht, obwohl alles anders war. Wir hatten viel Erfolg, großen Zulauf. Wir konnten endlich die Gagen angleichen und haben drei neue Ensemblemitglieder engagiert. Wir haben zusammengehalten. Das Theater ist wie ein Mantel aus Geborgenheit. Wir merken kaum, dass die Jahre vergehen. Das Leben verrinnt.

Die Familie Ekdahl ist eine großbürgerliche Künstlerfamilie, die in Schweden wohnt und in deren Familienbesitz sich ein Theater befindet. Das Familienoberhaupt ist die Großmutter Helena, die drei Söhne mit ihrem bereits verstorbenen Mann zur Welt gebracht hat. Einer dieser drei ist Oscar, der das Theater führt, mit der Schauspielerin Emilie verheiratet ist und drei Kinder hat: Fanny, Alexander und Amanda. Nach dem plötzlichen Tod Oscars während einer Probe, sucht die junge Witwe und Mutter Trost bei Bischof Vergérus, den sie schließlich heiratet. Gemeinsam mit ihren Kindern zieht sie in dessen Residenz, wo der Bischof mit seiner Mutter, Tante, Schwester und dem Dienstmädchen Justina wohnt. Vor allem Alexander, der mit der neuen Hochzeit seiner Mutter ohnehin nicht einverstanden war, leidet besonders unter der Strenge und Askese im Haus des Bischofs. Den Kindern wird jeglicher Besitz verboten und sie werden wiederholt eingeschlossen. Alexander wird zudem körperlich gezüchtigt und großem psychischen Druck ausgesetzt. Der Kontakt zur restlichen Familie reißt nach und nach ab. Erst viel zu spät merkt Emilie, was sie ihren Kindern mit der neuen Ehe und dem Umzug angetan hat. Doch eine Scheidung kommt für den Bischof überhaupt nicht in Frage. Stattdessen droht er ihr mit dem Entzug des Sorgerechts für ihre Kinder. Erst Filip Landahl, ein alter Freund der Großmutter Ekdahl, kann die Kinder aus den Klauen des Bischofs entreißen und die entzweite Familie Ekdahl wieder zusammenführen. 

Fanny und Alexander war der letzte offizielle Kinofilm des schwedischen Drehbuchautor, Film- und Theaterregisseurs Ingmar Bergman. Das schwedisch-französisch-deutsche Filmdrama lief 1982 erst in den Kinos und danach auch in einer längeren Version im Fernsehen. Die Produktion erhielt zahlreiche Preise und Auszeichnungen. Theaterregisseur Stephan Kimmig hat sich den Film nun für sein Regiedebüt am Düsseldorfer Schauspielhaus ausgesucht und eine starke Bühnenadaption vorgelegt. Die letzte große Premiere der Spielzeit als riesiges Ensemblestück mit 13 Spielerinnen und Spielern. Premiere war am 25. Mai im Schauspielhaus am Gustaf-Gründgens-Platz.

Auf der Bühne im Großen Haus steht ein weißer viereckiger Würfel im sonst vollständig schwarzen Bühnenraum mit ebenso schwarzem Boden. Die schwarz-weiß-Komposition wird auch in der Lichtatmosphäre und in den Kostümen übernommen und sorgt, neben dem ebenso düsteren Text, für eine unheimliche und dunkle Atmosphäre. Nach und nach treten die Ensemblemitglieder des Stücks, 13 an der Zahl, auf, werden dem Publikum auf subtile Art und Weise vorgestellt und in das komplexe Figurengefüge eingeordnet. Was zu Beginn noch als reines Vorbühnenstück anmutet, entpuppt nach und nach das große Facettenreichtum der Bühne. Eine Kamera an der Bühnenrampe fängt den gesamten Abend über einzelne Szenen ein und lässt sie vergrößert auf den Würfel projizieren. Dann beginnt Kimmig die technischen Vorzüge der Bühne zu nutzen, und schmeißt die Drehbühne an, die nach einer halben Wendung das Innere des Würfels freigibt: Eine riesig schwarz-graue Halle mit einer hohen Galerie. Schwarze Türen auf allen Seiten und ein großes Eingangstor hinten zeigen die begrenzten Fluchtmöglichkeiten. In der Mitte steht eine lange hölzerne Tafel mit Holzstühlen. Die unübersehbare Unterschiedlichkeit der beiden Familien Ekdahl und Vergérus zeichnet Kimmig für den Zuschauer verständlich und klar nach: Die Ekdahls als verrückte, wilde, laute und bunte Künstlerfamilie mit sprühender Lebensfreude auf der einen und die Vergérus' als strenge, christliche, patriarchale in schwarz-weiß gehüllte Bischofsfamilie. Und genauso gegensätzlich sind auch die zueinander findende Emilie Ekdahl und Edvard Vergérus, gespielt von Minna Wündrich und Christian Erdmann, der in seiner Interpretation der Rolle (leider) immer wieder an Tartuffe aus dem gleichnamigen Stück von Molière in einer Inszenierung von Robert Gerloff erinnert. Die Figur bekommt dadurch etwas sehr eindimensionales und grenzt sich dadurch stark von der Figur aus Bergmans Film ab.

Die drei Kinder von Emilie Ekdahl, Fanny, Alexander und Amanda, werden gespielt von Lea Ruckpaul, Johanna Kolberg und Jojo Rösler. Die Verwandlung von drei erwachsenen Frauen zu drei Kindern gelingt exzellent. Allen voran Lea Ruckpaul beweist erneut, dass sie eine absolute Ausnahmeschauspielerin ist und nach Isa aus Bilder deiner großen Liebe (Regie: Jan Gehler), wo sie bereits wundervoll brillierte, zu noch größerem fähig ist: Ihre Verkörperung des zehnjährigen Jungen Alexander gelingt nicht nur aufgrund des Äußeren, wo ihr ihre verhältnismäßig kleine Körpergröße und schmale Statur in die Karten spielt, sondern auch durch ihr brillant körperliches Spiel. Sie zeigt eine beeindruckende Wandlungsfähigkeit. Während der Vorstellung fragen Zuschauer (hörbar) immer wieder ihre Sitznachbarn "Wer ist denn das, die den Alexander spielt?". Wahnsinnig agil, rebellisch, charmant und voller Spielfreude zieht sie die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich. An dieser Schauspielerin wird sich das Düsseldorfer Publikum wohl noch einige weitere Male erfreuen dürfen.

Je länger allerdings die Kinder in der Bischofsresidenz hausen, desto beklemmender wird die Atmosphäre und die Gewaltspirale beginnt sich zu drehen. In aller Drastik zeigt die Inszenierung die Züchtigung Alexanders, u.a. mit einem peitschenden Rohrstock. Durch die Entstehung des beklemmenden Gefühls beim Publikum macht sich auch im Zuschauerraum eine tiefe Aussichtslosigkeit breit. Doch bei Emilie Ekdahl scheint das ganze noch nicht angekommen zu sein. Die Kinder, die voller Fantasie und Lebensfreude sprühen, müssen noch einige Zeit ausharren, ehe auch ihr klar wird, was sie sich und ihrer Familie mit dem Verbleib beim Bischof antut. In einem berührenden Monolog offenbart sie sich schließlich und kehrt mit ihrer kleinen, vom Rest der Ekdahls abgekapselten Familie durch eine Rettungsaktion eines guten Freundes der Großmutter zurück nach Hause. Mit den Worten "Wir müssen gut aufpassen auf unser Theater" spricht sie entscheidendes an: Nirgendswo kann der Fantasie und dem Spiel mit der Wahrheit und der Lüge so viel Raum gegeben werden, wie im Theater. Eine starke Botschaft am Ende eines knapp 200 Minuten langen Theaterabends, der mit seinem dreizehn-köpfigen Ensemble und der Betätigung jeder möglichen Funktion der Schauspielhaus-Bühne (Gedreht und auf- und absenkbar) Großes aufgefahren hat.

Kimmigs Inszenierung macht aus dem Film eine durch und durch berechtigte und reichlich Argumente liefernde Bühnenadaption, in der das Theater als heiliger und kraftvoller Ort strahlt - auf die Figuren, insbesondere die Kinder, wie auf das Publikum. Das wunderbare Ensemble spielt seine Stärken aus und beschert allen voran Lea Ruckpaul und Minna Wündrich eine schauspielerische Glanzstunde. Doch ohne Kritikpunkte geht der Abend nicht vorüber: An einigen Stellen zeigt die Inszenierung ihre Längen, vor allem vor der Pause und vor dem Ende. Eine Straffung hätte dem sicherlich Abhilfe geschaffen. Daneben bleiben vor allem die Randgeschichten um zwei seltsame Paare blass und bremsen die dichten und packenden Szenen spürbar aus und bleiben schleierhaft gezeichnet. Ob man diese nicht einfach hätte streichen können? Womöglich. Verzicht hätte man außerdem durchaus auch bei einigen der zahlreichen Video- und Tonbandeinsätze üben können. Die überlagernden Ebenen strengen teilweise ziemlich an und ermöglichen, dass man das künstlerische Endprodukt irgendwo zwischen Film und Theater einordnen kann. Nichtsdestotrotz ein bewegender, atmosphärischer Theaterabend, der einen soghaft in die Geschichte rund um das Geschwisterpaar Fanny und Alexander reinzieht. Mehr wäre aber sicherlich drin gewesen.


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von Marvin

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