Die Kleiderschränke quillen über, doch Individuelles ist nicht dabei. Dann doch besser Geld sparen und upcyceln. Viele Jugendliche designen ihre Shirts um, tragen Schmuck aus Müll oder verwenden Saftpackungen ganz neu. Ein Trend, der nicht nur den Geldbeutel schont.
Mit einer Nagelschere schneidet Laila Nysten kleine Löcher in einen alten Fahrradschlauch. Sie zieht goldene Ösen hindurch und knotet rote Kordel daran. Die 20-jährige Studentin braucht einen neuen Schlüsselanhänger. Wie er genau aussehen soll, weiß sie noch nicht. "Ich mach einfach mal", sagt sie und schneidet weiter.
Der Anhänger wird ihr nachher bestimmt gefallen, schließlich hat Laila jahrelange Erfahrung beim Upcycling. So nennt man es heute, wenn aus alten Dingen Neues entsteht. "Ich finde es toll, wenn Sachen eine Geschichte haben", sagt Laila. Sie bestickt ihre alten Klamotten und hat so wieder neue Shirts im Schrank. Oder sie näht sich aus altem Stoff bunte Taschen. Sie will so viel wie möglich selber machen. Auch bei ihrer Band "Poems for Jamiro": Sie textet, komponiert und singt nicht nur selbst. Sogar die CD-Hüllen näht sie mit ihrer Bandkollegin.
Alte Handwerkskünste neu entdeckt
Wie Laila entdecken viele junge Menschen alte Handwerkskünste wieder. Upcycling und Do it yourself sind Trend, urteilt der Trendforscher Peter Wippermann aus Hamburg. Das könne man schon am Boom der Teilen- und Tausch-Angebote sehen. "Im Modebereich gibt es immer mehr Secondhand-Läden", erklärt er. "Im kommerziellen Bereich kommen neue Car-Sharing-Unternehmen dazu." Dieser Trend komme jetzt auf, weil die Menschen einen Ausgleich zur virtuellen, schnellen, globalisierten Welt von heute brauchen.
Upcycling ist eine Gegenbewegung, die vor allem bei Jugendlichen ankommt. "Sie suchen sich Nischen, die von Erwachsenen ignoriert werden, und wollen ihr eigenes Ding machen", erklärt Wippermann. Damit verwirren Kinder ihrer Eltern häufig. "Die Mutter versteht nicht, warum ihre Tochter ein Kleid im Secondhand kauft, das aus der Kindheit der Mutter stammt", sagt der Trendforscher.
Altes cool gemacht
"Mit meinen Klamotten aus den 70ern und 80ern kann ich meine Eltern jagen", bestätigt Laila. Ansonsten unterstützen sie ihre Eltern. Das Nähen hat ihr ihre Mutter beigebracht. Nähen, stricken, häkeln haben kein verstaubtes Image mehr, obwohl sie uralt sind, erklärt Sandra Unger, Sozialpädagogin in Düsseldorf. "Upcycling kombiniert alte Handwerkstechniken mit Modernem." Neu sei das Politische dabei. Aus Stricken werde so Urban Knitting und meint, dass junge Menschen den öffentlichen Raum für ihre Kunst nutzen: Sie umstricken Bäume, Fahrräder und Denkmäler. Die englischen Begriffe zeigen: Die alten Techniken werden cool gemacht. So passe es auch zusammen, dass sportliche Jungs Mützen Häkeln und deutschlandweit verkaufen, sagt Wippermann. Retro sei Jugendkultur.
Und da findet sich auch Laila wieder. Sie will sich von Geschäften keinen Stil vorschreiben lassen. "Ich werfe doch nichts weg, nur weil es aus der Mode ist", sagt sie empört. "Ich verwende es lieber noch mal. Letztens habe ich meinen alten Strohhut einfach umgedreht und hatte eine schöne Blumenampel."
Was man noch alles aus Altem machen kann, bringt Pädagogin Unger Jugendlichen im Verband "Die Falken" in Workshops bei: "Wir schneiden T-Shirts in Streifen und weben daraus Teppiche", sagt sie. "Aus leeren Saftpackungen werden Portemonnaies und Vasen, Ökobeutel besprühen wir mit Farbe." Und weil die Jugendlichen das in einer Gruppe machen, ist die Freude am Upcyceln noch größer.
Gemeinsam Gutes tun
Gemeinsam etwas zu machen, ist bei Do it yourself wichtig. Das ist Teil der Gegenbewegung zur virtuellen, unnahbaren Welt. Das Interesse an sozialer Nähe sei groß, sagt Trendforscher Wippermann.
Neben dem Sozialen ist auch das Finanzielle ein Grund, warum so viele Jugendliche wieder selbst etwas machen, findet Dorothee Landgrebe, Referentin für Ökologie und Nachhaltigkeit der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin. Wer seine alten Sachen verschönert, muss nichts Neues kaufen.
In einer Studie fand die Stiftung heraus, dass die deutschen Kleiderschränke überquellen. "Wir haben drei- bis viermal so viel Kleidung wie in den 70er Jahren", fasst Landgrebe zusammen. Für die Herstellung wird viel Chemie verwendet, die die Umwelt belastet. Weniger kaufen und mehr upcyceln hilft also auch der Natur. Landgrebe hofft, dass dieser Trend zum Nachdenken anregt. Und das auch, weil Kreativität Spaß macht.
Kreativ werden
Allerdings hat nicht jeder sofort kreative Ideen. "Ich bekomme meine Ideen im Internet, bei Blogs und in sozialen Netzwerken, in Büchern und beim Beobachten von Leuten auf der Straße", verrät Pädagogin Unger. In großen Städten gebe es außerdem mittlerweile viele Geschäfte, die Selbstgemachtes verkaufen. Dort kann man sich inspirieren lassen.
Die 20-jährige Laila holt sich Anregungen auf Kunsthandwerkermärkten und findet Anleitungen über Suchmaschinen. "Oder ich lasse mich vom angeblichen Müll inspirieren", sagt sie. Die Idee kommt dann beim Basteln. Bei jedem Schnitt entscheidet sie neu, wie ihr Schlüsselanhänger aussehen soll. "Selbermachen ist deswegen so cool, weil ich meine individuelle Vorstellung kreativ umsetzen kann", sagt Laila. "Ich laufe keinem Trend hinterher, sondern setze ihn selbst."
Unsere Webseite verwendet Cookies, um Ihnen diverse Funktionen zu ermöglichen und den bestmöglichsten Service zu bieten.
Sie können die dazu passenden Einstellungen verwalten. Über einen Klick auf “Akzeptieren”, erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihre Cookies für die angegeben Zwecke verwendet werden. Ihre Einwilligung können Sie jederzeit durch Änderung Ihrer Einstellungen widerrufen. Mehr erfahren
Tools, die anonymisierte Daten über die Nutzung der Webseite und der Funktionen sammeln. Die daraus gewonnen Erkenntnisse dienen dazu, diese Webseite stetig zu verbessern.
Kommentar verfassen