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Aaron ist kein Mädchen

03.07.2015

Aaron kam als Mädchen auf die Welt, fühlt sich aber als Junge. Er ist transsexuell. Seine Familie versteht das nicht. In der Uni, beim Sport, beim Toiletten-Gang und im Alltag ist er eingeschränkt. Seine größte Hoffnung: endlich kein halbes Leben mehr, sich endlich gut fühlen. Selbst wenn es richtig heiß draußen ist, verzichtet Aaron in der Uni auf die kalte Limo. Und wenn es friert, trinkt er lieber keinen warmen Tee mit den anderen Studenten. Ihm ist das Risiko zu hoch, auf die Toilette zu müssen. Wohin soll Aaron auch gehen? Aufs Männer-Klo? Zu den Frauen? Noch ist Aarons Körper nämlich der einer jungen Frau. Er fühlt sich aber als Mann und will bald auch komplett einer sein. Aaron ist transsexuell – und passt deswegen für andere Menschen in keine Schublade. "Männer und Frauen fragen mich, was ich bei deren Toilette mache", sagt der 20-jährige Aaron. "Deswegen gehe ich einfach nicht aufs Klo. Wenn es ganz dringend ist, gehe ich nach Hause." Aaron ist Aaron – aber das sieht nicht jeder Auch wenn Aaron sich so kleidet wie ein Junge, die Brust abbindet, lässige Skater-Klamotten trägt, die Haare kurz schneidet und sportlich daherkommt – ohne Hormonbehandlung, tiefe Stimme und Operation wissen viele Menschen nicht, dass Aaron Aaron ist. Die Weltgesundheitsorganisation stuft Transsexualität als Geschlechtsidentitätsstörung ein. Dabei weiß Aaron ganz genau, welches Geschlecht er haben müsste. Die Natur hat ihm allerdings ein anderes gegeben. Deswegen spricht er auch nicht von einer Geschlechtsumwandlung, wenn er von seinem großen Wunsch redet. Er möchte vielmehr eine Geschlechtsangleichung. Dann wäre er tatsächlich er selbst. Und auch die unangenehmen Klo-Begegnungen würden aufhören. Zumindest auf der Straße kennt Aaron aber kein unangenehmes Gefühl. "Ich fühle mich nicht beobachtet", sagt er und schlendert gelassen über die Straße zu einer Bahnhaltestelle. Keiner guckt ihm verwundert hinterher. Aaron ist einfach ein junger Mann, dem noch die Bartstoppeln fehlen. Schmerzen, Kosten und Beleidigungen Anderen Transsexuellen geht es da schlechter – vor allem Menschen, die als Jungen geboren wurden. Der Weg vom Mann zur Frau ist nämlich schwerer. Die tiefe Stimme, die großen Füße, die breite Statur in Frauenkleidung ziehen Blicke auf sich. Tuscheln, lachen, doofe Sprüche sind viele gewöhnt. Wie entsetzlich das ist, versteht nur, wer nachfragt. Eine Beraterin aus Düsseldorf hat das getan. Sie betreut eine junge Frau, die als Junge geboren wurde. Sie hat Schuhgröße 50, findet keine schicken Damenschuhe. Sie ist kräftig gebaut, Kleider sitzen schlecht. Die Haare hängen trotz teurer Pflege wirr am Kopf herunter. Einmal in der Woche geht sie zu einer schmerzhaften Lasertherapie, damit die Bartstoppeln verschwinden. Doch das Gesicht bleibt männlich. Trotz des vielen Geldes und den ständigen Schmerzen ist sie endlich sie selbst – und wird dafür täglich fertiggemacht. Transsexuelle leiden unter vielen verschiedenen Belastungen, hat der Lesben- und Schwulenverband NRW herausgefunden. Für eine Studie zur Lebenssituation von Transsexuellen in Nordrhein-Westfalen hat er mit 98 Personen gesprochen, also mit drei Prozent der Transsexuellen im Bundesland. Sie werden diskriminiert, wenn auf Amtsbriefen "Frau Martin Schulze" steht. Sie werden ausgegrenzt, beleidigt und sogar angegrabscht. Auch müssen sie immer wieder intime Fragen zu ihren Genitalen und ihrer Sexualität beantworten. Familie erkennt Trans nicht immer an Trotzdem würden alle Befragten sich wieder outen und operieren lassen, fasst die Studie zusammen. Sie macht Mut: Das Outing kann auch gut und mit wenig Problemen verlaufen, weil es immer wieder Schuldirektoren oder Chefs gibt, die einen unterstützen. Auch einige Familien stehen hinter den Betroffenen. Weil sie ein wichtiger "emotionaler Bezug“ sind, können sie "sowohl die größte Quelle der Unterstützung als auch die größte Quelle der Ablehnung sein", erklärt es die Studie. Wie es mit ihm weitergeht, macht auch Aaron von seiner Familie abhängig. Seine Eltern stehen nicht dazu, dass sie jetzt einen Sohn haben. Aarons Mutter macht sich eher Sorgen. "Sie sagt, ich sei immer noch ihr Kind", weiß Aaron, "aber gleichzeitig hofft sie, dass ich nur eine Phase durchmache." Sein Vater sei auch nicht begeistert von der gewünschten Geschlechtsangleichung. Er sage aber zumindest, wenn Aaron sich so schlecht fühle, solle er das machen. Aarons neuen und selbst ausgesuchten Namen benutzen beide nicht. Badehose statt schicke Kleider Von einer Phase kann man bei Aaron tatsächlich nicht sprechen. Er wusste schon immer, dass er kein Mädchen ist. Er zog auch als kleines Kind lieber Badehosen an. Schicke Kleider, die er bei Festen tragen sollte, fand er ganz schlimm. Mit neun Jahren ließ er sich kurze Haare schneiden. Immer fühlte er sich in Freundeskreisen mit Jungen wohler. Mit zwölf Jahren suchte er im Internet nach einem Namen für das, was er fühlte. Er fand ihn: Transsexualität. Seitdem weiß er, dass es auch andere Leute gibt, denen es genauso geht und dass es Wege gibt – wie eine Hormontherapie oder eine Operation. Langer Weg bis zur Operation Bis zur Geschlechtsangleichung ist es aber ein langer Weg. Psychologen müssen Gutachten schreiben. Experten auf dem Gebiet haben allerdings lange Wartelisten. Transsexuelle müssen außerdem rechtliche Schritte gehen, ihren Namen und das Geschlecht vor Gericht und in ihren Dokumenten ändern. Jugendliche benötigen die Einwilligung der Eltern. Auch um medizinische Schritte müssen sich Transsexuelle kümmern: einen speziellen Arzt suchen, eine Hormontherapie beginnen, Operationen von Brust und Genitalien. Menschen, die als Jungen geboren wurden, aber als Frauen leben möchten, müssen zudem ihre Stimme trainieren und den Bart entfernen. Und vor allem Ärzte begleiten sie ein Leben lang. Obwohl sie nicht krank sind, müssen Transsexuelle ständig Hormone und Medikamente nehmen, leiden manchmal unter Nebenwirkungen oder Medikamenten, die gar nicht wirken. Hoffnung auf ein ganzes Leben Ein wenig Angst hat Aaron vor den ganzen Schritten und der Therapie schon. Aber er will lieber heute als morgen damit anfangen. "Ich fühle Zeitdruck. Ich will doch nicht noch länger ein halbes Leben leben", begründet der 20-Jährige. Wenn seine Eltern ihn endlich unterstützen, will er so schnell wie möglich komplett als Aaron leben. Dann fallen auch endlich die nervigen Situationen weg: wenn der Busfahrer ihn vor allen anderen Fahrgästen zurückruft, weil er das Geschlecht auf dem Ticket noch mal kontrollieren möchte. Wenn Sportler Aaron sich keine Gedanken mehr machen muss, ob er in der Männer- oder der Frauen-Mannschaft spielen soll, und endlich wieder in einen Fußballverein eintreten kann. Wenn er nicht schon im Neoprenanzug zum Wassersport fahren muss. Wenn ihn bei den Uni-Toiletten niemand mehr komisch anguckt. Und auch, wenn ihn ansonsten relativ wenige komische Blicke beobachten, richtig wohl fühlt sich Aaron zurzeit nur bei Freunden und im Jugendzentrum PULS in Düsseldorf. PULS ist ein Rückzugsort. Die Stimmung ist offen, freundlich und niemals ausschließend. Willkommen sind "junge Lesben, Schwule, Bi-, Trans*sexuelle und Friends". Doch PULS-Leiterin Jana Hansjürgen gibt zu bedenken: "Man kann die Beratung von Homo- und Transsexuellen nicht vergleichen." Bei Transsexuellen gibt es auch Homo- und Heterosexuelle. Aaron beispielsweise steht auf Mädchen. Er ist heterosexuell. Seine Fragen und Bedürfnisse sind andere, als die der jungen Lesben und Schwulen. "Eigentlich müsste es noch mal eine spezielle Beratungsstelle für junge Transsexuelle geben", findet Jana Hansjürgen. Schließlich kommen an manchen Abenden bis zu sieben Trans-Jugendliche ins Puls. Ausprobieren im Schutzraum "Es ist ein Schutzraum, in dem man sich ausprobieren kann", erklärt die PULS-Leiterin. Gerade für Jugendliche, die von einem Leben nach der Geschlechtsangleichung träumen, sich aber nicht sicher sind, ist das wichtig. Einmal gab eine Besucherin bekannt, dass sie sich als Junge fühle. Sie band sich zunächst nur im PULS die Brüste ab, kleidete sich männlich und alle anderen Besucher sprachen sie sofort nur noch mit ihrem männlichen Namen an. Ein Jahr später sagte sie, sie fühle sich doch in ihrer weiblichen Identität richtig. Und sofort wurde sie wieder mit ihrem weiblichen Namen angeredet. Im Schutzraum des Jugendzentrums ist das kein Problem. Da können sich die Jugendlichen ausprobieren und finden. Etwas, das woanders nicht möglich wäre. Aaron muss sich nicht mehr finden. Er weiß seit 20 Jahren wer er ist. Er wird weiter so leben, wie er will – und er wird sich gut dabei fühlen, wenn seine Eltern ihr Ok geben. Linktipps:
Jugendzentrum PULS: www.sljd.de
Selbsthilfegruppe für transsexuelle Menschen und Freunde: www.duesseldorf.aidshilfe.de
Selbsthilfe für Transgender und Angehörige: www.gendertreff.de
Projekt Trans*: www.trans-nrw.de
Lesben- und Schwulenverband in Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V.: www.nrw.lsvd.de
Landesfachstelle für lesbische, schwule, bi und trans* Jugendarbeit in NRW: www.schwules-netzwerk.de
Beratungsstelle Sozialwerk für Lesben und Schwule e. V.: www.rubicon-koeln.de
Jugendnetzwerk Lambda: www.lambda-online.de
Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e. V.: www.dgti.org
Selbsthilfegruppe für Transidenten in Köln: www.txkoeln.de

von jt

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