Du entscheidest, wer bleibt: Wenn ein Stadtviertel der Zukunft weichen muss
26.07.2017
Hip, bedürfnisorientiert und futuristisch: Das neue Viertel um den Hauptbahnhof kommt, doch die Frage ist, wer bleiben darf. Das Theaterkollektiv per.vers lädt unter Leitung von Christof Seeger-Zurmühlen zu einer Tour ein und nimmt den vorerst unbeteiligten Zuschauer mit auf eine Reise in das Düsseldorf von heute und morgen. Als "highly-rated individual" heißt es dann, sich auf die Eindrücke einlassen und entscheiden, welche Geschäfte es in das zukünftige Viertel Babylon schaffen.
Geflüster am Ohr, Getuschel zwischen den ankommenden Besuchern, Rauch von E-Zigaretten und schrille Farben der Akteure: Die Einführung in das Stück auf einem leeren Dachboden der alten Farbwerke könnte kaum mysteriöser sein. Der Zuschauer, aufgestellt in einem Halbkreis mit seinesgleichen, wird mitgenommen in eine futuristische Vorstellung des Stadtviertels am Hauptbahnhof. Die Investoren von "Babelton" haben besonderes vor: Modernes Wohnen mit frischem Wasser, hauseigenen Früchten und modernster Technik für ausgewähltes Publikum und exquisiten Läden im Herzen der Stadt. Wer seine Ware auch zukünftig im modernen "Babylon" verkaufen darf, obliegt rein der Meinung der Entscheider. Bevor es auf die wilde Tour zur Inspektion des Viertels geht, verhallt der Schlachtruf des neuen Viertels: „Ba!“
"Sie sind die Entscheider, schauen Sie genau", haucht einem das fiktive Expertenteam immer wieder ins Ohr. Der Bus schlängelt sich durch Düsseldorfs Straßen. Es folgen stadttouristische Informationen zu den Orten, eindringliche Blicke, Überprüfungen der Emotionen von den neuen Entscheidern im Bus. Halt. Es geht raus auf die Straße, hop-off. In Radins Laden mit persischen Spezialitäten, dem Lebensmittelladen mit pakistanisch-indischem und sogar afrikanischem Angebot und dem Fahrradladen von nebenan. Hop-on. Austausch mit dem neuen Sitznachbarn, Emotionsabgleich, Neutralisierungsspray. Futuristisch.
Die nächste Inspektion steht an. Laufender Betrieb im japanischen Lebensmittelladen. Die Entscheider – nun ausgestattet mit kleinen Audioguides – manövrieren sich durch den Laden. Auf den Ohren die Worte des Ladenbesitzersohnes. Verkleidet als Pikachu grüßt er am Eingang und erzählt von den Habseligkeiten des Ladens, gibt Einblicke in sein Leben und spricht über seine japanischen Wurzeln. Hop-on.
"Ba!" – Realität und Show vermischen sich spätestens jetzt: Die Straße entlang tanzen die Investoren zwischen den verwunderten Passanten, die passende Musik schallt aus den Boxen des Citybuses. Vermeidliche Spaziergänger werden Teil der Szenerie und reißen wiederum Neue mit, bis zuletzt das ganze Ensemble tanzt. Ausgelassene Stimmung, Lachen, Applaus. Ein Highlight, auf das direkt wieder der nächste Ausstieg folgt.
Die chinesische Heilerin, ein kleiner Spaziergang durch das Rotlicht-Viertel, ein Ausflug in die dunkle Geschichte der Prostitution, dann der älteste Zigarrenladen Düsseldorfs und die Metzgerei König. Ein Laden reiht sich an den nächsten, Emotionen werden genommen, Neutralisierungsspray eingeatmet, Gespräche geführt – immer unter den eindringlichen Blicken und Anweisungen der Investoren: "Lächeln Sie, bilden Sie sich eine Meinung. Ba!"
Fast schon abrupt kommt der Bus nach zweieinhalb Stunden zum Stehen. Der Zeitpunkt der Entscheidung ist gekommen. Schnell wird klar: es dürfen nur wirtschaftliche Projekte bestehen bleiben, die den Investoren schmecken. Nicht jeder überlebt, nicht jeder darf weiter. Ein kurzer Dank den Entscheidern und die bunten Investoren verlassen den Bus.
Herausgeschleudert in die Realität: Zurück auf der Straße ist man als Entscheider geflasht von den Eindrücken, geprägt vom skurril-futuristischen Verhalten und eigentlich ganz dankbar, dass es nur ein Theaterstück ist. Zurück bleibt nur der süße Geschmack von Radins Gebäcken und die Frage, wie nah diese Zukunftsperformance an der Realität liegt.
Das Asphalt-Festival ist nun vorüber. Wer dennoch Lust auf die Performance hat, kann das Theaterkollektiv per.vers noch einmal beim Düsseldorf Festival sehen. Bei den Tickets müsst ihr allerdings schnell sein - die Veranstaltung ist beliebt und genauso schnell ausverkauft.
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