Zu Besuch bei Goethe: Urban Sketchers erobern Düsseldorf
25.08.2017
Draußen sein, zeichnen, Städte, Landschaften und Menschen mit Stift und auf Papier einfangen: Das ist Urban Sketching, eine Kunstform, die sich der Momentaufnahme gewidmet hat. Übersetzt mit "urbanes Skizzieren" fangen die Künstler mit ihren Zeichnungen ehrliche Momente und Atmosphären ein. Mal als Bleistiftwerk, mal lebendig bunt durch Aquarell und Tusche, zeugen sie von den Orten dieser Welt.
Die 16-jährige Selina Scholz gehört dazu. Sie ist erst vor einigen Monaten zum Urban Sketching gekommen – auf Empfehlung ihrer Kunstlehrerin. Bis dahin verbrachte sie ihre Zeit mit Youtube-Tutorials und dem Ausprobieren unterschiedlichster Zeichenstile. Dann traf sie auf die Düsseldorfer Ortsgruppe und zog selber immer wieder los, um das Leben im Skizzenbuch einzufangen. Sie fährt gerne Skateboard, was sich praktischerweise mit ihrem neuen Zeichenstil gut kombinieren lässt: Mit dem Board und dem kleinen, handlichen Aquarellkasten geht es dann zu inspirierenden Plätzen und Häusern, die sie dann auf dem Skateboard sitzend zeichnen kann.
Die Anfänge einer Künstlerbewegung
Zeichnungen solcher Art reichen zwar weit zurück in die Vergangenheit, die eigentliche Bewegung der Urban Sketchers ist aber sehr jung: 2007 wurden die Künstlergemeinschaft von Gabriel Campanario gegründet. Als Campanario sie in Seattle ins Leben rief, konnte er wohl kaum ahnen, welche Formen sie bis heute angenommen hat. Die Sketchers sind weltweit vernetzt und veröffentlichen ihre Zeichnungen in den sozialen Netzwerken und Blogs. Sie alle vereint das Motto "Wir zeigen die Welt, Zeichnung für Zeichnung". Der Spruch ist ein Auszug aus ihrem sogenannten Manifesto, welches einige Regeln oder Leitlinien formuliert, an die sich eine Gruppe halten möchte. Das sind die der Urban Sketchers:
1. Wir zeichnen vor Ort, drinnen oder draußen, nach direkter Beobachtung.
2. Unsere Zeichnungen erzählen die Geschichte unserer Umgebung, der Orte, an denen wir leben oder zu denen wir reisen.
3.Unserer Zeichnungen sind eine Aufzeichnung der Zeit und des Ortes.
4. Wir bezeugen unsere Umwelt wahrhaftig.
5. Wir benutzen alle Arten von Medien.
6. Wir unterstützen einander und zeichnen zusammen.
7. Wir veröffentlichen unsere Zeichnungen online.
8. Wir zeigen die Welt, Zeichnung für Zeichnung.
(Quelle)
Wie ernst das Manifest genommen wird, hängt von den zeichnenden Personen selbst ab. Genau so, ob sie an sogenannten "Sketch Crawls" teilnehmen: Manche lieben den Austausch, andere zeichnen nur für sich. Einig sind sie sich jedoch darin, dass die Treffen wie auch das Manifest sie vereinen und näher zusammenbringen. Auch Selina ist von den Treffen begeistert: "Alle haben gleich viele Tipps gegeben. Ich bin begeistert, wie sie einen aufnehmen – eine total tolle Atmosphäre." Für sie ist es eine gute Möglichkeit sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Der Spaß an der Sache steht im Vordergrund, auch wenn in so manchem ein richtiger Künstler schlummert. Doch wichtig sind andere Dinge, wie Carsten Tiemessen von den Urban Sketchers Community Köln/Düsseldorf erklärt: "Nicht das große Werk, sondern das in die Welt hinausgehen und nehmen, was das Leben uns gibt, zählt." So wird diese Kunstrichtung auch als "visueller Journalismus" bezeichnet.
Wie ein Virus, der jeden infizieren kann
Die Menschen, die das Urban Sketching betreiben, sind so vielseitig wie ihre Zeichnungen. Vereint sind sie in der Sache. Beruflich gehen sie den unterschiedlichsten Tätigkeiten nach. Sie sind zum Beispiel Anwälte, Ärzte, Grafikdesigner, Studenten, Rentner, oder Musiker. Menschen jeden Alters und jeder Gesellschaftsschicht. Eine professionelle Ausbildung im künstlerischen Bereich haben die wenigsten.
Das jeder mitmachen kann, zeigen die Düsseldorfer Urban Sketchers. Hier sind richtige Künstler wie auch Amateure gern gesehen. Sie organisieren sich über eine Facebook-Gruppe und einer eigenen Community-Website. Das Internet bietet ihnen neue Chancen der Verbindung und baut erste Hemmschwellen ab. "Komm, probier’ doch mal!" hat sich auch Stefanie Arnold gesagt und rät sie jedem Anfänger. Sie ist studierte Kunstpädagogin und lernt auch auf Reisen über das Zeichnen neue Leute in den jeweiligen Ortsgruppen kennen. Ein Hobby, was auch ein gewisses Suchtpotential birgt, wie Arnold bestätigt: "Es ist wie ein Virus, wenn man einmal angefangen hat, kann man nicht mehr aufhören."
Skizzenbücher erzählen die Erlebnisse der Zeichner
Jedes Skizzenbuch ist ein Unikat und zeugt von den Erlebnissen des Zeichners. Beim Durchblättern offenbart sich ein Stück Persönlichkeit, aber auch der Atmosphäre der Orte. Die sehr persönlichen Einblicke zeugen ebenfalls von den unterschiedlichen Malstilen der Sketchers. Selina nutzt gerne Aquarell und Fineliner, aber da hat jeder andere Vorlieben: "Der gute, alte Bleistift und Tusche sind allgemein sehr beliebt", erklärt Tiemessen. "Aber auch der Wasserfarbkasten ist neben dem Skizzenheft sehr typisch", fügt Arnold hinzu. Erlaubt ist hier, was gefällt.
Bis Selina sich für ihr Werkzeug entschieden hatte, probierte sie viel aus: Kohle, Kreide, Marker, zuletzt Acryl - ihr ganzes Taschengeld gibt sie für Kunst aus. Schlimm findet sie das aber nicht: "Das ist eine schöne Sache, weil man Fortschritte sieht. Wenn man sich alte Bilder anguckt und sieht wie man sich entwickelt hat, das macht total glücklich."
Auch Goethe war ein Urban Sketcher
Im Goethemuseum finden sich aktuell Einblicke in die Arbeiten der Düsseldorfer Gruppe. In der Ausstellung "Ich bin jetzt ganz Zeichner, habe Mut und Glück..." (Goethe) finden sich Impressionen der Urban Sketchers aus dem Haus selbst, aber auch Skizzenbücher, Tuschekästen und andere Bilder. Dass sie nun dort ausstellen, hat sich – wie sollte es anders sein – durch einen Sketch Crawl vor Ort ergeben. Die Büsten wie auch das alte, reizvolle Gemäuer bieten sich als Motive geradezu an. Die Begeisterung für die Arbeiten teilt auch Museumsdirektor Prof. Dr. Wingertszahn: "Die Gruppe brachte neues Leben ins Haus und macht auch so Goethes Werke wieder lebendig." Überhaupt passt das sehr gut, denn Goethe selbst war nicht nur Dichter, sondern auch ambitionierter Zeichner.
Rund 30 Bilder von 21 Urban Sketchers sind in dem Museum im Schloss Jägerhof. Auch Selina gehört zu den Ausstellern. Ihr Bild einer stuckverzierten Tür hängt nun in den Ausstellungsräumen. Dass ihr Bild dabei ist, verwundert nicht. Am liebsten zeichnet sie Altes: Egal ob historische Häuser oder verzierte Türen, Hauptsache nicht glatt und modern. Rund eine Stunde sitzt Selina etwa an einem Bild. Da Freunde hier ungern so lange warten wollen, würde sie sich über andere Jugendliche freuen, die das Hobby mit ihr teilen – vielleicht ja auch auf dem Skateboard.
Die Ausstellung läuft vom 27. August bis zum 13. September.
Mehr zum Begleitprogramm und der Ausstellung
Facebook-Gruppe der Urban Sketchers Köln/Düsseldorf
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