Theater
Schnee Weiss – Elfriede Jelineks neuestes Werk im Schauspiel Köln
13.01.2019
Das ganze Unglück kommt vom Sport, sage ich Ihnen, vom Sport kommt alles.
Das Land Österreich wird 2017 in seinem nationalen Selbstwertgefühl tief erschüttert. Der Skisport, für die Österreicher_innen so etwas wie eine "heilige Kuh", wird von der ehemaligen Skiläuferin und österreichischen Abfahrtsmeisterin Nicola Werdenigg schwer verwundet. Werdenigg macht in jenem Jahr den Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe während der 1970er und 1980er Jahre in österreichischen Skiinternaten, in Trainingslagern und auf Wettkämpfen öffentlich. Die österreichische Schriftstellerin Elfriede Jelinek nahm diese Enthüllungen zum Anlass und schrieb das fast hundert Seiten lange Theaterstück Schnee Weiss (Die Erfindung der alten Leier). Jelinek ist mehrfach für ihre Werke ausgezeichnet worden und erhielt unter anderem den Literatur Nobelpreis und den höchsten deutschen Theaterpreis Der Faust für ihr Lebenswerk. Am Düsseldorfer Schauspielhaus wurde zuletzt ihr Werk Das Licht im Kasten (Straße? Stadt? Nicht mit mir!) im Januar 2017 uraufgeführt. Schnee Weiss feierte am 21. Dezember Uraufführung am Schauspiel Köln. Regie führte der Intendant des Hauses Stefan Bachmann.
Ausgehend von den sexualisierten Übergriffen im österreichischen Profi-Skisport zeichnet Jelinek ein assoziatives und alles hinterfragendes Textgebirge, das sich um Macht(-missbrauch), Vertuschung, Rollenbilder, Moral und Doppelmoral und Schuld und Unschuld dreht. Der fast atemlos geschriebene Text handelt in seiner vollen Länge dabei verschiedene Themen ab und lässt die unterschiedlichsten Figuren auf- und abtreten, unter anderem Maria, den Gottvater höchst selbst und einen Engel. Das Bühnenbild, kreiert von Jana Findeklee und Joki Tewes, bietet dafür eine tolle Rampe: Ein schneeweißer steiler Skihügel, um den ein riesiges Plateau von Matten ausgelegt ist. Darüber schwebt das Dach einer Skihütte, das von seinem Boden ausgehend Licht spendet. Im Laufe des Abends dreht sich dieses Konstrukt und ein unter dem Hügel versteckter Bunker wird sichtbar, mit einer riesigen Fensterfront und in die man nur über eine Bodenklappe von oben hinein kommt.
Einen steilen Beginn legt die Inszenierung von Stefan Bachmann allemal hin: In der Ballermann- bzw. Après-Ski-Atmosphäre, Schlagersongs wie DJ Ötzis "Ein Stern" und Rex Gildos "Fiesta Mexicana (Hossa!)" vom Band, treten die Schauspieler_innen eingekleidet in Ski-Outfits der 70er-Jahre mit Skiern auf und rutschen über die Piste. Danach gesellt man sich zueinander und das feuchtfröhliche Bumsen beginnt. Der Sexismus ("Frauen werden grundsätzlich von Männern durchgenommen und nicht umgekehrt") wird geschickt umfahren: Hier rammelt jede*r jede*n. Doch der actionreiche und einfacher zu durchdringende Beginn kann die Zähigkeit des gesamten Abends nicht überstrahlen. Es sind die großen Textmassen, die ja für Jelinek üblich sind und in, für diese Verhältnisse kurzen, zwei Stunden ausgesprochen werden wollen. Je länger der Abend wird, desto erschöpfter wird man, denn der Text wird teilweise in hohem Tempo gnadenlos herausgeschossen. Für Mitdenken und versuchen zu folgen, bleibt immer weniger Zeit. Auch die teilweise starken Bilder, die Bachmann für die Jelinek-Motive findet, können dem nicht hinreichend entgegen wirken.
Es ist ein Abend, der vieles voraussetzt, um ihm hinreichend zu folgen: Eine hohe Konzentration, ausreichend Energie, die Lust des Verstehen-Wollens und Kenntnisse über das, was hier verhandelt wird. Ansonsten gerät man zunehmend ins Schwimmen. Vorteilhaft ist dabei die Textstruktur in einer Aneinanderreihung von Szenen, die es ermöglicht, auch wenn man jetzt in dieser Szene mal raus ist, in der nächsten wieder einzusteigen. Und so dreht sich das Gedanken-Karussell immer weiter. Ein sehr anregender Theaterabend, für Theatercracks durchaus zu empfehlen!
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