Alles Weitere kennen Sie aus dem Kino – Ein alter Mythos in neuem Licht
22.03.2019
Kreon, mein Bruder – sagt Iokaste –, verspricht mich demjenigen, der sie enträtselt, die unlösbare Frage der Sphinx. Ödipus kommt anstolziert. “Das ist nicht schwer”, sagt er “Die Antwort ist der Mensch. Jetzt mach mich zum König.”
In der griechischen Saga um Ödipus belagerte die Sphinx die Stadt Theben und gab vorbeikommenden Reisenden immer wieder das selbe Rätsel auf: "Was ist es, das mit einer Stimme begabt, bald vierbeinig, zweibeinig und dreibeinig wird?" (griechisches Original). Diejenigen, die das Rätsel nicht lösen konnten, wurde von der Sphinx erwürgt und dann verschlungen. Als eines Tages Ödipus vorbeikam, konnte er als einziger das Rätsel lösen ("Es ist der Mensch!"). Er entging dem Tod und das Ungeheuer stürzte sich aus Scham in den Tod. Für seine Befreiung von Theben wurde Ödipus mit Iokoste, der Witwe des verstorbenen Königs Laios, belohnt. Er nahm sie zur Frau, wurde König von Theben und herrschte mit ihr gemeinsam über das Land. Ohne jedoch zu wissen, dass die Gemahlin seine eigene Mutter war und der verstorbene König sein Vater, den er selbst vor Jahren im Streit getötet hatte.
Alles Weitere kennen Sie aus dem Kino, so heißt das Theaterstück des englischen Dramatikers Martin Crimp, das auf die antike Tragödie Die Phönizierinnen von Euripides zurückgeht. Darin holt er den Mythos rund um Ödipus, Iokaste und deren Söhne Eteokles und Polyneikes neu ans Licht der Jetztzeit. Uraufgeführt wurde sein Stück 2013 am Deutsches Schauspielhaus Hamburg. Nun hat sich die Regisseurin Lily Sykes den Text vorgenommen und ihn mit dem Schauspielstudio Köln am Schauspiel Köln inszeniert. Premiere war am 22. März in der Außenspielstätte am Offenbachplatz.
Ödipus, der also mit seiner Frau bzw. Mutter vier Kinder gezeugt hat: Antigone, Polyneikes, Eteokles und Ismene. Im Zentrum steht der Machtkampf der beiden Brüder Eteokles und Polyneikes. Die haben ihren Vater in den Palast eingesperrt und dieser wiederum das Erbe mit einem Fluch belegt. Um Gewalt und Streit zu vermeiden, treffen die beiden Brüder eine Vereinbarung: Sie wollen abwechselnd in Theben herrschen und jährlich das Zepter miteinander tauschen. Eteokles wird der erste Herrscher. Doch als Polyneikes zurückkehrt, um die Herrschaft zu übernehmen, weigert sich der ältere Bruder, die Macht abzutreten. Es kommt zur gewaltsamen Auseinandersetzung und ein Krieg droht auszubrechen.
Das Stück von Euripides, das vor über 2.000 Jahren geschrieben wurde, wird von Martin Crimp an einen Kriegsschauplatz der Gegenwart versetzt. Die Tragödiensprache wird dabei mit Slang und aktuellem Politik- und Militärvokabular verwoben. Die Figuren müssen ihre Geschichte neu durchleben und werden vom antiken und gespenstischen Mädchenchor wieder hervorgeholt. Der Chor konfrontiert die Figuren mit ihrer Vergangenheit und treibt die Erzählung selber voran, souffliert Text hinein und peitscht das Geschehen voran. Denn was passieren wird, wissen sie bereits. Nun wollen ihre eigenen Fragen beantwortet werden und die austauschbaren Begriffe wie "Ruhm", "Gott", "Ehre" und "Volk" sollen entlarvt werden. Regisseurin Lily Sykes versetzt das Stück in einen sehr abstrakt gestalteten Bühnenraum: Ein giftgelbes Studio mit einer Loge für den Live-Musiker, die hinter einem Guckkasten versteckt ist und bei Bedarf auch geschlossen werden kann. An der Bühnenrampe ragen zwei stählerne Türme empor, die durch eine Galerie weit oben miteinander verbunden sind. Dazwischen hängt ein weißer Vorhang, auf den Videos projiziert werden. Vor Beginn der Vorstellung beim Einlass werden Filmzitate in Original-Englisch in den Zuschauerraum geworfen. Auf den Vorhang ist ein bunt-verpixeltes TV-Störsignal projiziert. Rechts an der Tribüne steht der dreiköpfige Mädchenchor in schwarzer Kleidung bereit und nimmt die Rätsel der Sphinx auf den Arm, indem er Fragen wie "Was ist der Wert von X, wenn ich nackt hier stehe?" in das Publikum wirft.
Die Studio-Bühne ist sehr sparsam eingerichtet: Ein alter Röhrenfernseher, schwarze Holzstühle, Getränkeflaschen mit Strohhalmen und Popcorn-Tüten. Daneben stehen noch zwei Musikverstärker, die die Studioatmosphäre untermauern. Dazu tauchen immer wieder Voodoo-ähnliche weiße Puppen auf. Die neun Spielerinnen und Spieler, alles Schauspielstudierende der Hochschule für Musik und Theater Leipzig, die ihre zwei Praxis-Studienjahre am Schauspiel Köln verbringen, sind in dunkle oder weiße gemustert bzw. gestreifte Kostüme eingekleidet. Atmosphärisch, neben der Live-Musik von Musiker David Schwarz, punktet der Abend auch bei den Musikeinspielern, die dröhend und Bass-stark auf die Zuschauertribüne einwirkt. Die Regisseurin findet immer neue Bilder um den Text zu visualisieren, beispielsweise wenn sie die Spieler*innen Instruktionen für ein Tieropfer tanzen lässt.
Am Ende ist das Studio voll mit grauer Farbe. Alle scheinen dem Wahn verfallen zu sein und das Blut an ihren Körpern unabwaschbar. "Das Blut wird sich verteilen, wie eine Ölspur von Theben aus in die ganze Welt", prophezeit man den antiken Figuren. Alles Weitere kennen Sie aus dem Kino! Großer Applaus für die neun jungen Spielerinnen und Spieler, von denen sich vor allem Campbell Caspary als Kreon und Paul Langemann als Ödipus sehr in den Vordergrund gespielt haben und ihre "Momente" von allen am stärksten genutzt haben. Man darf gespannt sein, wie sich die jungen Talente in den nächsten Monaten in Köln weiterentwickeln werden. Deren Zukunft ist nämlich noch ungewiss.
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