Theater
Draußen vor der Tür – Ein Kriegsheimkehrer auf der Suche nach Erlösung
08.03.2019
Hier kommt ein Mann nach Deutschland. Er war lange weg, der Mann. Sehr lange. Vielleicht zu lange. Und er kommt ganz anders wieder, als er wegging. Äußerlich scheint er ein naher Verwandter jener Gebilde, die auf den Feldern stehen, um die Vögel – und abends manchmal auch die Menschen – zu erschrecken. Innerlich – auch. Er hat tausend Tage draußen in der Kälte gewartet. Und als Eintrittsgeld musste er mit seiner Kniescheibe bezahlen. Und nachdem er nun tausend Nächte draußen in der Kälte gewartet hat, kommt er endlich doch noch nach Hause.
Beckmann, der stets nur bei seinem Nachnamen genannt wird, ist ein ehemaliger Soldat, der endlich in seine Heimat zurückkehrt. Er hat den Krieg und eine dreijährige Gefangenschaft hinter sich und ist mit nur 25 Jahren komplett am Ende. Gezeichnet von dem Erlebten ist er körperlich lädiert, humpelt, hat großen Hunger und friert. Doch in Hamburg angekommen, muss er feststellen, dass nichts mehr ist wie es einmal war. Draußen vor der Tür heißt das Drama des deutschen Schriftstellers Wolfgang Borchert, das er innerhalb von nur acht Tagen niederschrieb. Der bis dato unbekannte Autor wird binnen kürzester Zeit berühmt, weil es ihm gelingt, das Gefühl einer gesamten Generation von Heimkehrern in seinem Stück zu konservieren. Am Schauspiel Köln hat sich die Regisseurin Charlotte Sprenger dieses Stück ausgesucht und es in der Außenspielstätte am Offenbachplatz inszeniert. Ihr erstes "klassisches" Stück, das sie inszeniert. Premiere war am 26. Oktober 2018.
Beckmann ist in die Elbe gesprungen, um sein Leben zu beenden. Doch die Elbe weist ihn in Gestalt einer alten, resoluten Frau zurück und treibt ihn ans Flussufer. Benommen von seiner Nahtoderfahrung irrt er durch seine alte Heimatstadt auf der Suche nach einem Platz in der Nachkriegsgesellschaft. Er ist durch die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs geprägt und seine Erinnerungen lassen ihn nicht los. Aber die Menschen um ihn herum haben die Vergangenheit längst verdrängt. Traumwandelnd sucht er nach einem Sinn im Leben, nach einer Bestätigung seiner Identität, nach Antworten und nach einem Grund, weiterzuleben.
Der Saal ist in dichten Nebel gehüllt. Fünf einfache Campingzelte und ein turmartiges Zelt stehen in einem Halbkreis auf der Bühne. In der Mitte ein rechteckiger selbstleuchtender Fußboden, der mit blau-grünem Sand übersät ist. Eine riesige milchige Kunststoffplane schwebt über der Bühne. Die Inszenierung von Charlotte Sprenger hat etwas traumartiges: bildgewaltige Szenen, Nebel, Lichtschranken, Windmaschine. Auch in der Besetzung ist ein klares und wirkungsvolles Regiekonzept zu erkennen: Neben Elias Reichert, der den Beckmann verkörpert, stehen vier Frauen, jede aus einer anderen Generation, auf der Bühne. Die jüngste, ein zehn-jähriges Mädchen, die älteste, Margot Gödrös, 80 Jahre alt. Die Frauen verkörpern auch die auftretenden Männerfiguren, wie z.B. Sabine Orléans den Oberst, der den Krieg als einen Vogelschiss in unserer deutschen Geschichte bezeichnet (vgl. Aussage von Alexander Gauland, AfD). Eine der wenigen Aktualisierungen in der sonst so Original-getreuen Textfassung von Sprenger. Die vier Frauen geben vor allem eine weibliche Perspektive auf die Heimkehr von deutschen Wehrmachtssoldaten und spiegeln natürlich auch (überspitzt) die Verteilung von Frauen und Männern in der Gesellschaft wieder. Es sind starke Bilder, die das künstlerische Team kreiert hat. In einer Szene fährt die riesige Plane gen Boden, Nebel, starker Wind und ein Wechsel zwischen absoluter Dunkelheit und grell leuchtendem Licht. Dazu Musik ("Survivor") und eine kraftvolle Vibration. Das geht nicht kalt an einem vorüber und zieht das Publikum sogartig in die Geschichte rein. "Wofür dieses Leben leben? Für wen? Für was?", klagt Beckmann. Im Schlussbild legt sich der vollkommen verzweifelte ins Zelt auf den Boden und ruht. Da kommt ein letztes Mal das kleine Mädchen herein und tippt ihn an: "Hab dich, du bist". Sie läuft weg, versteckt sich und beginnt herunterzuzählen. Dann wird es schlagartig dunkel auf der Bühne. Beckmann bleibt von der Gesellschaft ausgeschlossen und seine Fragen unbeantwortet. Hamburg, Deutschland, Europa, die Welt und Gott schweigen – darauf kann oder will wohl keiner Antwort geben.
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