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Cum-Ex Papers – Eine Recherche zum entfesselten Finanzsystem

02.06.2019

Es ist der wohl größte Steuerskandal der deutschen Geschichte. Über Jahre hinweg erleichterten Kriminelle den deutschen Fiskus um Milliarden Euro. Und das mit einer höchst einfallsreichen Masche: Beim Handel von Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividende ließen sie sich eine nur einmal gezahlte Kapitalertragsteuer gleich mehrmals erstatten. Mittlerweile ist sogar klar: Nicht nur Deutschland ist davon betroffen. In ganz Europa wurde dieser systematische Steuerraub durchgeführt. So war es Banken und Anwälten möglich, Milliarden Euro dem Staat und damit dem Steuerzahler zu entwenden.

Der Regisseur Helge Schmidt durfte mit seinem Team die Recherchen zum Skandal um die CumEx-Files, die in einer zeitgleichen Veröffentlichung von 19 Medien am 18. Oktober 2018 mündeten, über Monate hinweg begleiten. In Zusammenarbeit mit dem Recherchezentrum CORRECTIV und dem politischen Fernsehmagazin ARD-Panorama erhielt Schmidt exklusive Einblicke und formte ausgehend von dem Insider-Interview mit Benjamin Frey, dem ersten Kronzeugen in den Ermittlungen gegen die Cum-Ex Täter, sein dokumentarisches Theaterstück. Bereits eine Woche später, am 25. Oktober, feierte der daraus entstandene Theaterabend Cum-Ex Papers Uraufführung am Lichthof Theater Hamburg. Nun wurde das Stück, das auch zum Heidelberger Stückemarkt 2019 eingeladen wurde, beim Asphalt Festival 2019 in Düsseldorf gezeigt. Zu sehen war es am 15. und 16. Juli in der Glashalle im Weltkunstzimmer in Düsseldorf-Flingern.

Dass das Theater aktuelle gesellschaftliche Themen und Debatten aufgreift und sie auf der Bühne verhandeln lässt, ist ein wesentliches Merkmal des Sprechtheaters. Doch was Helge Schmidt mit seinem Cum-Ex Papers Abend vorlegt, treibt das noch weiter auf die Spitze. Er kreierte einen dokumentarischen Theaterabend, der aktueller und näher am Thema hätte kaum sein können. Mit einem stark aufspielenden dreiköpfigen Ensemble, einer Frau mittleren Alters, einem jungen und einem älteren Mann, öffnet er die Sperrigkeit der Cum-Ex Geschäfte, versucht sie dem Publikum verständlich und anschaulich darzustellen und gibt dem ganzen durch das theatrale Spiel eine neue, personifizierte Ebene, die dem Zuschauer klar macht: Das ist etwas, das mich ganz persönlich betrifft. Eine Meisterleistung, wenn man bedenkt, dass allein der Finanzskandal und dessen Ablauf hoch komplex und überhaupt nur schwer zu erklären ist.

Das Bühnenbild besteht aus einem kreisrunden, weißen Lamellenvorhang, der geöffnet und geschlossen werden kann. Hinzu kommen lediglich ein Stuhl und mehrere weiße Stoffsäcke, die an Säulen gelehnt sind. Außerdem wird das Spiel durch Masken und kleinere Requisiten ergänzt. So steht der Text und die Videoprojektionen, die auf den geschlossenen Vorhang projiziert werden, ganz im Vordergrund. Der rote Faden, der sich durch den rund 90-minütigen Theaterabend zieht, ist das achtstündige Insider-Interview mit Benjamin Frey, der an den Cum-Ex Geschäften beteiligt gewesen ist. Zu Beginn anschaulich dargestellt durch eine dicke Aktenmappe, aus der teilweise zitiert und vorgelesen wird. Einzelne Szenen werden gar von den drei Schauspieler*innen nachgespielt. Ein Satz, der lange nachhallen wird und der das ganze in aller Dramatik treffend ausdrückt: "Der größte Steuerskandal, den die Bundesrepublik Deutschland je gesehen hat".

Die Komplexität des Themas wird durch Bildlichkeit, Metaphorik und Direktheit vortrefflich nachgezeichnet. Das Publikum wird an einzelnen Stellen spielerisch mit eingebunden. Und spätestens, wenn es sein eigenes Kleingeld in eine Fuchs-Spardose abgeben sollen, sollte auch dem letztem Zuschauer klar sein, dass es bei den Cum-Ex Geschäften ganz direkt um sein eigenes Geld geht. Es ist wirklich erschreckend, wenn man begreift, wie wenig die Politik getan hat, um diese kriminellen Machenschaften zu beenden. Aber noch viel erstaunlicher ist es, wie leise der Aufschrei der Bevölkerung nach der Enthüllung gewesen ist. Schließlich sind es doch die Steuergelder der deutschen Bundesbürger, die sich die Kriminellen in ihre eigenen Taschen gesteckt haben.

Einer besonderen Bedeutung kommen an diesem Abend vor allem den Videosequenzen zu: Szenen aus Interviews, Nachrichtensendungen und Reportagen, aber auch Ausschnitte aus Dokumenten werden projiziert und unterfüttern das Spiel auf der Bühne. Ein ungeheurer Rechercheaufwand, der durchaus beeindruckt. Es sind eindrückliche Bilder, die dadurch im Zusammenspiel von Dokumentation und Theaterspiel entstehen. Bilder, die jeder versteht und die in einem wirken. Und wenn die drei Schauspieler*innen am Ende zig Säcke mit silbernen Glitzerstreifen ausschütten und in ihnen baden, wie Dagobert Duck in seinem Geldspeicher, dann ist die Absurdität des ganzen, das durchaus auf sehr unterhaltsame Art und Weise dargestellt wurde, unübersehbar. Die Frage nach der Moral ist dabei wohl die zentrale. Unwichtig, wer aus strafrechtlicher Sicht, welche Rolle bei den Cum-Ex Geschäften gespielt hat. Einzig moralisch strafbar haben sich die Täter alle gemacht. "Gier frisst Hirn" nennen das die Spielerinnen und Spieler auf der Bühne. Der Drang dazu, sich die Taschen immer weiter und weiter und weiter vollstopfen zu wollen.

Der Ausblick am Ende des Abends scheint nicht weniger düster zu sein, denn die kriminellen Geschäfte haben bei Weitem noch kein Ende genommen. Das Problem besteht weiterhin, wenn sich das System nicht grundlegend verändert. Und so wird es auch weiterhin junge, gierige Männer wie Benjamin Frey geben, die dem Ruf des Geldes und mächtigen Männern folgen und nach dem Geld anderer lustvoll greifen. Eine ernüchternde Erkenntnis, die ästhetisch wunderbar umgesetzt wurde: Das Ensemble in silbern-glitzernden Ganzkörperanzügen, die mit einem Pappmachékopf, der das Gesicht von Benjamin Frey zeigt, nach dem Geld greifen und sich die Hosen vollstopfen. Großer Applaus für einen spannenden Theaterabend, der den Zuschauer nicht nur bestens unterhalten und vieles treffend erklärt hat, sondern auch ein großes Gefühl von Wut im Bauch entstehen lassen hat. 

von Marvin

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