Das Leben des Vernon Subutex 1-3 – Die Romantrilogie von Virginie Despentes am Schauspiel Köln
26.10.2019
Eine nicht enden wollende Dunkelheit ist über die Bühne hereingebrochen. Nur die kleinen Dynamo-Taschenlampen spenden letztes Hoffnungslicht im Untergrund. Wie Jesus Christus wird Vernon Subutex ans Kreuz genagelt. Nur ist das bei Letzterem kein Kreuz, sondern eine riesige Vinyl-Schallplatte, die vor einem Eiffelturm-Nachbau weit über dem Boden schwebt. Wie eine Sekte stehen die Freunde des Vernon Subutex um den Gekreuzigten, ehe sie als seine Jüngerinnen und Jünger im Dunklen in den Zuschauerraum tapsen und das Publikum zum Glauben an die Wiedergeburt des großen Propheten bekehren wollen. Darunter hämmert der Beat eines der großen Hits, der Subutex zu Lebzeiten zu einem der größten DJs aller Zeiten hat aufsteigen lassen. Vielleicht lebt er wirklich nicht mehr, aber so wie Jesus in seinen Worten in uns weiterlebt, so lebt Subutex in seinen fantastischen Tracks weiter.
Die französische Autorin Virginie Despentes schrieb zwischen 2015 und 2016 die Roman-Trilogie "Das Leben des Vernon Subutex". Die Reihe wurde zum Bestseller und brachte ihr nicht nur in Frankreich großen Ruhm. 2015 erhielt sie den Prix Anaïs Nin, 2018 wurde sie für ihr Gesamtwerk mit dem Welt-Literaturpreis ausgezeichnet. In Zürich wurde die Trilogie im Februar uraufgeführt. Nur einen Monat später holten die Münchner Kammerspiele die Subutex-Produktion nach Deutschland. Regisseur Stefan Pucher ließ dabei 14 Schauspielerinnen und Schauspieler auf den Text los. Am Schauspiel Köln, wo die Buchreihe nun in einer Bühnenfassung von Eberhard Petschinka Premiere feierte, löste man das Problem der Darstellung der zahlreichen Figuren anders: Regisseur Moritz Sostmann, der seit der Spielzeit 2013/14 Hausregisseur in Köln ist und in seinen seinen Produktionen stets das Schauspiel mit dem Puppenspiel vereint, stellte sein Ensemble aus Menschen und Puppen zusammen und ließ diese Hand in Hand die große Erzählwelt von Virginie Despentes Romanen auf die Bühne bringen. Herausgekommen ist ein rund dreistündiger Theaterabend, der es geschafft hat, die rund 1200 Seiten lange Romantrilogie in eine in sich geschlossene theatrale Erzählung zu gießen. Premiere war am 25. Oktober im Depot 1.
Auf einer breiten, schmalen Guckkasten-Bühne inklusive Vorbühne inszeniert Moritz Sostmann den Theaterabend. Die Rückwand besteht aus einer transparenten Leinwand, die ein Spiel aus Licht, Schatten und Video ermöglicht und so mehrere Ebenen darstellen kann. Das zeigt sich auch in der Führung der Puppen durch die Schauspieler, die sich nicht gleichen, sondern eine Tiefe der Figuren ermöglicht. Für jede Puppe ist ein Schauspieler da, aber nicht für jeden Schauspieler eine Puppe. So entstehen immer wieder auch Szenen, in denen eine geführte Puppe mit einem Schauspieler agiert. Das Chaos der zahlreichen auftretenden Figuren fordert gerade zu Beginn eine große Konzentration des Publikums ein. Abhilfe schafft dabei auch die Einblendung der Namen via Video und die teilweise strenge Zusammengehörigkeit einer Puppe und eines Schauspielers. So entfaltet sich nach und nach ein riesiges Gesellschaftspanorama einer westlichen Welt, die sich durch den roten Handlungsfaden zusammenhalten lässt. Dabei wird ein offener und aktiver Umgang mit der theatralen Gesamtsituation gepflegt: Offene Umbauten, Auf- und Abgänge, szenische Einrichtungen und die Synchronisation der Puppen. So sind die Spieler auch aktiv Teil des Geschehens, auch wenn sie nicht auf der Frontbühne sondern abseits stehen und auf das Gesagte und Gesehene reagieren.
Die schauspielerische Leistung ist in diesem Kraftakt lobend zu erwähnen. Besonders herauszuheben ist Ines Marie Westernströers Soloperfomance als Obdachlose mit einer fürchterlich guten Gesangseinlage von Adeles "Skyfall". Der Umgangston ist rau, provokant und immer wieder moralische Grenzen überschreitend - das Bild unserer heutigen westlichen Gesellschaft höchst treffend eingefangen. Zur Pause geht die Deformation des Bühnenbildes einher mit dem Prozess des Sich-Auflösens der Titelfigur. Nach Wiederbeginn ist nur der Rahmen des Guckkastens übrig, der Rest hat sich in seine Einzelteile zerlegt. In Eiltempo hastet die Inszenierung dann durch den dritten Romanteil, was dem unvoreingenommenem Zuschauer aber weder auffällt noch stört, und dann im Kreuzigungs-Bildertheater endet. Eine lange Reise durch das Leben des Vernon Subutex, an dessen Ziel Ensemble, künstlerisches Team und Publikum einerlei angekommen zu sein scheinen.
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