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Die Verdammten – Ersan Mondtag bringt Luchino Viscontis Historienfilm auf die Bühne

01.03.2020

Februar 1933. Joachim von Essenbeck, Seniorchef der Stahlwerke, lädt zu seinem Geburtstag an die große Tafel in den Salon seines Familienanwesens ein. Vehement gestört wird die abendliche Veranstaltung von der Nachricht des Reichstagsbrandes, die schließlich dafür sorgt, dass die unterschiedlichen politischen Meinungen der Familie an die Oberfläche gelangen. Die Runde zerfällt in verschiedene politische Lager. In der folgenden Nacht wird der Kopf der Industriellenfamilie auf Geheiß der Nationalsozialisten ermordet. Es entflammt ein folgenschwerer Streit um die Macht im Unternehmen, der den Untergang heraufbeschwört. 

Luchino Viscontis Historienfilm aus dem Jahre 1969 ist voller Anspielungen auf die in Essen ansässige deutsche Krupp-Dynastie. Der Film des italienischen Regisseurs wurde schon häufiger an Sprechtheatern inszeniert, zuletzt im November 2018 am Berliner Ensemble von Regisseur David Bösch (In Düsseldorf zuletzt: HENRY VI & MARGATHA DI NAPOLI). Nun hat sich Regisseur und Bühnenbildner Ersan Mondtag die Bühnenadaption des Films für seine vierte Arbeit am Schauspiel Köln ausgesucht. Er versetzt das Deutschland von 1933 in eine kalte, weiße Winternacht, in der nicht nur die Hochöfen den Horizont rot färben. Premiere war am 7. Dezember im Depot 1.

Wie immer wenn Ersan Mondtag in seinen Inszenierungen auch für das Bühnenbild verantwortlich ist, erwartet das Publikum eine opulente und eindrucksvolle Szenerie, die im Zusammenspiel mit Licht, Musik, Sound und Effekt-Einsatz zu einer dichten atmosphärischen Erzählung im Sinne der Ästhetik zusammenwächst. Dabei nutzt er - wie schon zuletzt bei DIE RÄUBER im Depot 1 - die gesamte Breite der Bühne, um seine Bilderwelt vor den Augen der Zuschauer zu entfalten. Diesmal bekommen sie ein nach vorne offenes Anwesen zu sehen, mit hölzerner Treppe, Galerie, Flügel und langer Tafel. Ringsumher grüne Tannen, die von Schneemassen bedeckt sind. Außerdem eine riesige Leinwand mit einem Foto von Adolf Hitler im Baby-Alter. Dazu dauerhaft rieselnder Schnee, Donner, Blitze, Käuzchen-Rufe und Windesrauschen. Es ist ein sich zusammensetzendes Gesamtbild, dessen Farbkomposition sich auf gedeckte Farben und schwarz-grau-braun Töne beschränkt. Im totalen Kontrast dazu die teils neon-giftigen Kostüme und Masken des Ensembles. Im Einklang schwebt das Ganze nicht, hält so aber die Aufmerksamkeit der Zuschauer hoch, weil die Figuren aus dem Bühnenbild herausstechen. 

Auch in DIE VERDAMMTEN kann Mondtag auf Alibi-provokante - wohl eher pubertäre - Spielereien nicht verzichten: Zum Ehrentag von Baron von Essenbeck gibt es eine dreistöckige Torte in Deutschland-Farben und vom Himmel geschossen wird ein schwarzer (Reichs-)Adler, der just auf die lange Tafel fällt. Dazu eine pinkelnde Pimmelrunde rund um Konstantin von Rissenbeck, der in pinkem Aufzug die Gummipenisse der Chormitglieder in den Mund nimmt. Heutzutage ist das allerdings weder skandalträchtig noch schockierend und wirkt so vor allem lächerlich. Man möchte dankend abwinken und rufen "Ich hab's verstanden, danke!". Nicht weniger überraschend ist das Gender-Change-Spiel, das Ersan Mondtag auch in dieser Inszenierung betreibt und einige Frauen Männer-Figuren spielen lässt. Nur leider macht er weiter nichts daraus, weshalb das ganze als Effekt völlig verpufft. 

Dem Lauf des zweistündigen Abends folgt man oft nur müßig, woran auch die teils stark aufspielenden Schauspielerinnen und Schauspieler nicht viel ändern können. Die politische Symbolik verpufft im Bilderspiel auf der Bühne - Ästhetik schlägt inhaltliche Sprengkraft. Ehrlicherweise muss man sagen, dass der Abend an sich eigentlich gar nicht so übel ist - erschreckend ist nur, wie teilnahmslos man am Ende den Saal verlässt. Alles wie zuvor - aber wozu dann das Ganze?

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von Marvin

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