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LIEBE/ Eine argumentative Übung – Das Ende der ewigen Nebenrolle

04.10.2020

Die Comic-Reihe des amerikanischen Zeichners Elzie Crisler Segar rund um den Seemann Popeye ist weltbekannt. Über 80 Jahre ist es schon her, dass die Figur das Licht der Welt erblickte, ehe sie jahrzehntelang dann auch über die TV-Bildschirme flimmerte. Nun hat es Popeye auch auf die Theaterbühne geschafft. Zwar weniger als Spinat liebender und stets auf hoher See Pfeife rauchender Matrose, sondern als erfolgloser Filmstudent. Die israelische Dramatikerin Sivan Ben Yishai hat als Hausautorin des Nationaltheater Mannheims ein Stück geschrieben mit dem Titel "LIEBE/ Eine argumentative Übung", indem sie Popeye und seine nervige Freundin Olivia Öl aus feministischer Perspektive neu beleuchtet und ins Heute verfrachtet. Denn Oliva Öl ist in ihrem Stück keine eindimensionale weibliche Nebenfigur, die stets im Schatten der starken und erfolgreichen männlichen Heldenfigur steht, sondern die zentrale Hauptfigur: Eine anerkannte Schriftstellerin, unabhängige Frau und Feministin. Doch der Verlauf zeigt, dass ihr feministisch geprägtes Weltbild seine Schwachstellen hat. Das Stück feierte in einer Inszenierung von Jakob Weiss am 26. September 2019 Uraufführung in Mannheim. Die Produktion wurde daraufhin zu den Mülheimer Theatertagen 2020 eingeladen und Sivan Ben Yishai für den Mülheimer Dramatikerpreis nominiert. Aufgrund der Corona-Pandemie musste das Theaterfestival, das im Mai und Juni hätte stattfinden sollen, allerdings abgesagt werden. Nun konnte die Produktion im Rahmen der "Zwischenstücke" doch noch als Gastspiel im Theater an der Ruhr in Mülheim gezeigt werden. Die Mülheim-Premiere war am 4. Oktober.

Es ist das Bild einer modernen Hetero-Beziehung, das Sivan Ben Yishai in ihrem Stück zeichnet. Eine monogame Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau, in der Er sich selbst als Feminist bezeichnet und auch so von seiner Partnerin gesehen werden möchte. Doch das Weltbild bekommt Risse, je genauer Olivia hinsieht. Denn Popeye sitzt nicht nur breitbeinig im Zug und sieht nicht ein, warum der Pfeifenrauch die anderen Passagiere stören könnte, sondern weigert sich auch strikt, die Möse seiner Freundin zu lecken. Das ist der Ausgangspunkt einer Reise aus der Perspektive einer Frau - nämlich der von Olivia Öl. Die verschiedenen Facetten und Gedanken, die sie an ihrem Bild von Popeye zweifeln lassen, werden in der Inszenierung durch die fünffache Besetzung der Hauptfigur unterstrichen: Vier Schauspielerinnen und ein Schauspieler treten zu Beginn im Comic-Outfit von Olivia, mit weißen Socken, schwarzen Stiefeln und langem Rock und rotem Oberteil mit weißem Kragen auf. Die Haare sind mit einem schwarzen Stoff verkleidet und rote Ohrringe zieren die Gesichter. Die Bühne besteht aus sechs verschieden großen Herzen, die mit hell aufleuchtenden Neonleuchtstoffröhren versehen sind. Ein Tunnel, der sich in die Tiefe des Bühnenraums zieht. Wie unter einem Mistelzweig stehen die Spieler*innen hier stets unter dem Zeichen der Liebe, das am Ende dann sogar zu erlöschen droht, wenn Olivia sich dem Zweifel hingibt und Popeye schließlich mit ganz anderen Augen sieht. Doch wer ist Schuld an dieser sexistisch und patriarchal geprägten Gesellschaft? "Es war nicht er. Nicht nur er. Ich bin es. Und nicht nur ich. Es ist meine Mutter und Großmutter und Urgroßmutter. die in mir leben und aus mir sprechen; und es sind die Medien, die Geldgeber, die Werbung, die Väter und Opas, die mich auf der Straße angestarrt haben, seit ich elf war, die Institutionen, die sie unterstützen, es sind die Präsidenten, ihre Sprache, die Mösen, die sie begrapscht haben, ihr Publikum, es ist das Publikum, ja ihr seid es, es seid auch ihr."

Der Text entwickelt durch die Mehrstimmigkeit eine gewisse Musikalität, die immer wieder mit überraschender Bildsprache und Bildlichkeit auf der Bühne besticht. Und doch bleibt der Abend erstaunlich blass, was vor allem an der Uminszenierung zur Corona-Kompatibilität liegen mag, wie der Regisseur im Nachgespräch verspricht. Denn statt im tippelnden Sprechchor-Schwarm sprechen die Spieler*innen oft nur an der Rampe ins Mikrofon und schwächen die Bühnenübertragung des Textes - auch durch viele Texthänger - immer wieder herab. Nichtsdestotrotz sieht und hört man dem Bühnengeschehen gerne zu und ist auch im Nachgespräch sehr angetan von Sivan Ben Yishais "LIEBE/ Eine argumentative Übung", das drängende Fragen des Feminismus aufwirft und dabei die romantische Beziehung zweier Heterosexueller Menschen aus dem Privaten ins Politische und wieder zurück hievt.

von Marvin

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