Jugendverbandsarbeit in Krisenzeiten: Kinder und Jugendliche müssen oberste Priorität haben
12.04.2021
Aktuell steht nur ein Teil der Lebenswirklichkeit von jungen Menschen im Fokus der Überlegungen von Politik im Bund, im Land und in der Kommune: Schule und Familie. Es erfolgt eine Reduzierung von jungen Menschen darauf, dass sie Schüler*innen und eventuell Auszubildende oder Studierende sind. Ausnahmen von Kontaktbeschränkungen gelten für Familie und Schule, nicht für das Treffen mit Peers/gleichaltrigen Freund*innen.
Der bildungspolitische Diskurs verschiebt sich deutlich zur Frage nach aufzuholenden Lerndefiziten in den Kernfächern statt zur Entwicklung von sinnvollen Lernkonzepten. Dabei müssen junge Menschen aktuell unter besonders schwierigen Voraussetzungen ihre Entwicklungsaufgaben bewältigen: sozial handlungsfähig zu sein, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen, Verselbstständigung und Selbstpositionierung. Für diese Prozesse brauchen junge Menschen – insbesondere in den biographischen Übergangsphasen – den Kontakt zu Peers, älteren Ansprech- und Vertrauenspersonen außerhalb der Familie und sie brauchen besonders Freiräume und Gestaltungsmöglichkeiten, um sich auszuprobieren.
Kinder- und Jugendarbeit mit ihren vielfältigen Schwerpunkten, Angeboten, Methoden, Konzepten und Einrichtungen hat den gesetzlichen Auftrag, jungen Menschen die zur Förderung ihrer Entwicklung erforderlichen Angebote zur Verfügung zu stellen; Angebote, die an ihren Interessen anknüpfen und von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet werden, sie zur Selbstbestimmung befähigen und zu gesellschaftlicher Mitverantwortung und zu sozialem Engagement anregen und hinführen.
Dazu gehört außerdem, Lernort für Demokratie und aktiver Teil einer demokratisch organisierten Gesellschaft zu sein. Gerade in einer Zeit, in der demokratische Prozesse durch Einschränkungen im öffentlichen Leben erschwert sind und gleichzeitig politische Strömungen erstarken, die offen den demokratisch verfassten Staat in Frage stellen, muss Jugend(verbands)arbeit als Ort demokratischer Bildung zur Verfügung stehen und darin gestärkt und gefördert werden.
Kinder und Jugendliche sind stille Leidtragende der Corona-Pandemie
Kinder und Jugendliche gehören zu den stillen Leidtragenden der Corona-Pandemie. Der gesellschaftliche Umgang mit der Pandemie wirkt sich erheblich auf ihre Lebensrealität aus. Ihr Alltag bewegt sich aufgrund fehlender Angebote fast ausschließlich zwischen Schule und Familie. Die Diskussion über die Öffnungen oder Schließungen von Schule und deren Auswirkungen auf die Arbeit der Eltern übersieht, was Kinder und Jugendliche in den letzten Wochen fast unbemerkt geleistet haben. In fast allen Familien mit mehreren Kindern haben ältere Geschwister Verantwortung übernommen: Sei es als Kinderbetreuung, Hausaufgabenhilfe für jüngere Geschwister oder durch stärkere Mitarbeit im Haushalt. Der Umfang der Schularbeiten und Hausaufgaben hat sich – wie viele Schüler*innen berichten – währenddessen vielmehr verstärkt.
In der anhaltenden Diskussion um Schule und deren Rolle während der Pandemie gerät zudem aus dem Blick, dass Jugend und Kindheit aus mehr bestehen muss, als verzweckte Bildung in der Schule. Angebote der Jugendverbände, Jugendfreizeiteinrichtungen und offene Angebote sind weitestgehend geschlossen. Gruppenstunden müssen aufgrund der aktuellen Erlasse in NRW ausfallen. Für mögliche Ferienfreizeiten in den Oster- und Sommerferien fehlt eine verlässliche Perspektive. Zudem fehlt es an mehrtägigen Angeboten für Kinder und Jugendliche, mit gleichaltrigen zusammen zu sein und einen unverzweckten Alltag zu erleben. Gerade dies ist das, was die Kindheit und Jugend als Lebensphase ausmacht und für die weitere emotionale und psychische Entwicklung elementar ist.
Den dringenden Bedarf nach unverzweckter Freizeit und Erholung bestätigen auch die beiden Studien des Forschungsverbunds „Kindheit – Jugend – Familie in der Corona-Zeit“ der Universitäten Hildesheim und Frankfurt. In der durchgeführten Befragung gaben „über ein Drittel der Befragten an, sich in der aktuellen Situation einsam zu fühlen.“ Betont wird auch das „gemeinsame Aktivitäten“ und „etwas erleben“ Bedürfnisse junger Menschen sind, „welche derzeit jedoch kaum Raum in der öffentlichen Diskussion haben und oft negativ ausgelegt“ werden. Die Hälfte der befragten Kinder und Jugendlichen gab an, dass sich ihre Möglichkeiten, sich zu treffen, stark geändert hätten. Abgesehen vom Schulbesuch haben sich soziale Begegnungen unter Kinder- und Jugendlichen stark verringert. Treffen mit Freund*innen gehören, wie es die Studien festhalten, während des Corona-Jahres 2020 „weniger zur Normalität junger Menschen“. Etwa 70 Prozent der Befragten äußern einen erheblichen Bedarf daran, dass sie ihrer Freizeitgestaltung wie gewohnt nachgehen können.
Jugendverbände möchten Freizeiten anbieten
Viele Jugendverbände wissen um die schwierige Lage von Kindern und Jugendlichen und wollen deshalb Fahrten und Freizeiten anbieten, wenn sie die Sicherheit der Teilnehmer*innen und ihrer Familien gewährleisten könnten. Dafür braucht es neben klaren Regelungen zur Jugendarbeit während der Pandemie auch eine Möglichkeit, mehrtägige Bildungsveranstaltungen und Jugenderholungen durch sogenannte Corona-Tests abzusichern, wenn diese verfügbar sind. Gerade die Arbeit der Jugendverbände sollte möglichst sicher stattfinden können, um jungen Menschen weiterhin einen Raum der Selbstorganisation und Selbsterfahrung zu geben.
Wenn der Einsatz der PCR-Testungen sowie der Schnelltests als sinnvoll erachtet wird, soll sich der Jugendring dafür einsetzen, dass diese über die Zuwendungen für Ferienfreizeiten (Zuschüsse zu den Düsselferien) abrechenbar sind. Der Jugendring sieht Schnelltests als eine sinnvolle Ergänzung zu den bisherigen der Hygienekonzepte in der Jugendverbandsarbeit an.
Wir fordern bei Entscheidungen der Stadt Düsseldorf:
- Die Mitwirkung junger Menschen an den sie betreffenden Entscheidungen der nächsten Monate muss sichergestellt werden. Hierzu müssen in Düsseldorf junge Menschen und ihre Selbstorganisationen beteiligt werden. So können sie ihre Erfahrungen und Kompetenzen zur Bewältigung der Pandemie einbringen, damit aus der Coronakrise keine Beteiligungskrise wird.
- Das Öffnen von allen Bildungseinrichtungen muss oberste Priorität haben. Angebote der Kinder- und Jugend(verbands)arbeit in ihrer Eigenschaft als komplementärer Lern- und Entwicklungsort zur Schule müssen wieder in Präsenz zur Verfügung stehen, sobald Schulen, Kindergärten und Kindertagesstätten wieder geöffnet werden.
- Gemeinsam mit Praktiker*innen und Wissenschaftler*innen müssen Öffnungsstrategien für außerschulische Angebote entwickelt und umgesetzt werden. Denn Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe insbesondere der Jugendverbandsarbeit sind wie Schulen Lebens- und Begegnungsorte von jungen Menschen.
- Der Freizeit- und Erholungscharakter der Ferien muss geschützt werden. Dabei ist insbesondere ein hoher Grad der Selbstbestimmung von Kindern und Jugendlichen zu fördern. Hier müssen die freien Träger dabei unterstützt werden, Freizeiten, Ferienspiele und Zeltlager mit wirksamen Schutz- und Hygienekonzepten durchzuführen. Die nötigen Planungsprozesse der Träger müssen angeregt und gefördert und wirtschaftliche Risiken für die Träger minimiert werden. Die Stadt Düsseldorf sollte sich im Städtetag für bundeseinheitliche Rahmenbedingungen für die Durchführung von Ferienmaßnahmen einsetzen, da einheitliche Rahmenbedingungen die Durchführung entsprechender Maßnahmen deutlich einfacher machen würde.
(Pressemitteilung des Jugendrings Düsseldorf)
Transparenzhinweis: Der Jugendring Düsseldorf ist Träger des Jugendportals youpod.de.
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