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TANZ – Schlachtfelder der Schönheit

03.07.2021

What the f*** is going on here? Diese Frage wird sicher vielen Menschen an diesem Abend immer wieder durch den Kopf gegangen sein. Beantworten lässt sich das so leicht aber auch einfach nicht. Was wir sehen, sind elf Frauen zwischen 20 und 80 Jahren, die bereits nach wenigen Szenen komplett nackt sind und mit "TANZ" eine Produktion zeigen, die sich trotz ihrer eindeutigen Namensgebung jeglicher Genreeinteilung vollkommen zu entziehen vermag. So unterschiedlich wie die künstlerischen Hintergründe der Performerinnen sind – klassisches Ballett, Tanz, Performance, Schauspiel, Zirkus –, so vielfältig sind auch die performativen Referenzen, die an diesem Abend geschlagen werden. Es beginnt, wenn man den düsteren, mystischen Prolog erst einmal beiseite lässt, mit einem recht unscheinbaren Setting: Ein offener Arbeitsraum, in dem eine mehrköpfige Ballettklasse unter der Anleitung von Beatrice Cordua, der legendären, ehemaligen Primaballerina von Starchoreograf John Neumeier, probt. Die mittlerweile 80-jährige korrigiert dabei allerdings komplett nackt und offenbart in ihren Anweisungen und Korrekturen die starke Disziplinierung des (weiblichen) Körpers durch das Ballett. Und so bittet sie ihre Compagnie, sich nach und nach zu entkleiden und lässt sich verschiedene Figuren an der Ballettstange zeigen. Doch es dauert nicht lange, bis sich einzelne Nebenschauplätze auftun und das Auge endlich wieder selbst entscheiden kann, wo es hinschauen mag. Das war in den meisten Theaterstreams, die in den vergangenen 16 Monaten auf den Bildschirmen flackerten, schon rein technisch nicht möglich. Es sind irritierende, teils wirklich komische Handlungen, die dort passieren. Bewusst wird um die Aufmerksamkeit des Publikums gerungen und mit den Blicken gespielt. Und ab diesem Moment nimmt der Abend immer wieder neue Wendungen und überrascht mit teils harten Brüchen, ehe er in der letzten Szene des zweiten Akts wieder zurück an die Ballettstange führt. Doch die weiblichen Körper und die Bühne sind unlängst zum wilden, blutigen Schlachtfeld geworden, das an Schönheit aber nicht verloren hat, sondern schillernder glänzt wie nie zu vor. 

Mit "TANZ" zeigt das asphalt Festival ein Stück, das bereits mehrfach ausgezeichnet und 2020 u.a. zum Theatertreffen und Impulse Theater Festival eingeladen wurde. Nun wurde die Koproduktion des Düsseldorfer "Sommerfestival der Künste" zur Festivaleröffnung dreimal in Düsseldorf gezeigt. Der sehr heutige und feministische Blick, der von der Künstlerin Florentina Holzinger in "TANZ" auf das romantische Ballett und den weiblichen Körper geworfen wird, ist schonungslos und radikal. Ein Abend, der wortwörtlich unter die Haut geht und durch seine starken Bilder, die wiederholt plötzlich gebrochen werden, besticht. Dabei ist es gar nicht so wichtig, das sich einem nicht alles erschließen mag. Denn die Soghaftigkeit und das Nicht-wegschauen-können ziehen das Publikum so tief herein, dass es den Kopf hier und dort auch einfach ausschalten und sich der Faszination völlig hingeben kann. Und das hat man wirklich selten im Theater gesehen, dass auf der Bühne Dinge passieren (u.a. urinieren mehrere der Performerinnen sichtbar in Eimer), die Menschen eigentlich überhaupt nicht sehen wollen, aber die dennoch in eine Ästhetik eingebunden sind, die fasziniert und der man sich nicht entziehen kann. Die Grenze des "Zeigbaren" hat das Ensemble sichtbar verschoben und der Preis dafür war hoch, aber es hat sich gelohnt.

von Marvin

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