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Frauen, Leben, Freiheit: Demonstration für Iran am Frauenkampftag
08.03.2023
Anlässlich des heutigen Frauenkampftages, des 8. März, hat die iranische Frauenbewegung eine Demo vor dem Landtag organisiert. Wir waren für euch vor Ort, um euch von der Stimmung, den Eindrücken und den Geschichten der Menschen vor Ort zu erzählen.
Trotz niedriger Temperaturen und letzten Schneeresten auf der Wiese versammelte sich die Menge nach und nach vor einer großen Bühne. Diese war dekoriert mit iranischen Flaggen und dem immer wiederkehrenden Motto"Frauen, Leben, Freiheit", das Motto der feministischen Revolution im Iran.
"Iran kann so schön sein"
Auch die erste Gruppe, mit der wir sprachen, erwähnte dieses Motto. Da sie erst seit acht Monaten in Deutschland ist, weiß sie ganz genau wie es ihren Angehörigen im Iran ergeht. Obwohl sie noch nicht so gut Deutsch kann, übersetzt Fatemeh (18) uns das Motto und für sie ist das Ziel klar: Free Iran. "Iran kann so schön sein, aber das Mullah-Regime und deren Politik unterdrückt das", sagt Bahare (31). Deshalb müsse es nicht nur Veränderung geben, sondern Befreiung. Maryam, die schon seit vier Jahren in Deutschland ist, erzählt uns, dass sie täglich Angst um ihre Familie hat. Immer wieder erreichen sie Nachrichten von Bekannten, die ins Gefängnis verschleppt und misshandelt und gefoltert werden. "Meine Familie, meine Kinder sind dort. Aber zurück kann ich nicht mehr."
Internationale Solidarität
Unser Interview wird von einem "Frauen, Leben, Freiheit"-Ruf unterbrochen. Um die Menge ein wenig aufzuheizen, riefen zwei Männer immer wieder Revolutionsgesänge in die Menge, die die Menge lautstark wiederholte. Einer war dabei besonders interessant. Er erklang nämlich für die erste Rednerin, die nicht aus dem Iran, sondern aus der Ukraine stammte. Internationale Solidarität. Das war die Botschaft, die man aus diesem Zeichen mitnehmen konnte und die sich durch die gesamte Demonstration zog.
"Putin weg! Mullahs weg!"
Die ukrainische Rednerin Anastasia Melnyk sprach über die vielen Parallelen zwischen den beiden Bewegungen. Auch in der Ukraine geht es um die Freiheit und die Sicherheit der Frauen. Immer wieder höre man von sexueller Gewalt gegen Frauen in den besetzten Gebieten. Als Waffe würde sie eingesetzt. Den Soldatinnen an der Front droht dabei das gleiche, wenn sie in Kriegsgefangenschaft gerieten. Genauso leiden die Menschen in den Grenzregionen an Verschleppungen von Frauen und ihren Kindern in russische Gebiete. Familien werden getrennt, Kinder werden ihren Eltern entrissen. Am Ende ihrer Rede erklingt dann der gemeinsame Ruf: "Putin weg! Mullahs weg!". Die enge Zusammenarbeit der beiden Regime ist hier allen bekannt. Für sie gilt: Gewinnen Sie einen der beiden Freiheitskämpfe, stärkt das auch die anderen. Solidarität im gemeinsamen Kampf für Demokratie und Freiheit.
Kritik an deutscher Doppelmoral
Davon könnten wir noch etwas lernen, erzählt uns eine junge, deutsche Frau mit iranischen Wurzeln, die sich seit ihrer Schulzeit in der Politik engagiert. Vor allem die Doppelmoral ärgert sie. "Auf der einen Seite schicken wir der Ukraine Panzer, Geld, Hilfsmittel … Aber wenn es um den Iran geht, dann schaffen wir es noch nicht einmal, die brutalen Schläger der Revolutionsgarde (IRGC) auf die Terrorliste zu packen. Wieso wird um den zu Tode verurteilten Deutsch-Iraner Jamshid Sharmahd nicht mit allen Mitteln gekämpft? Es ist doch die Pflicht eines Landes, ihre Bürger zu schützen", sagt sie.
Dass bei einem Unrecht die Augen verschlossen werden und beim anderen schnell geholfen wird, verletze viele Menschen im Iran und dadurch schwinde auch deren Vertrauen in den Westen. Unterstützung und Sicherheit für Iraner in Deutschland müsse gewährleistet werden. Und dazu gehöre auch die Untersuchung von Regimetreuen durch den Verfassungsschutz, stärkere Sanktionierungen und die Zerschlagung von Zellen der IRGC in Deutschland.
Kritiker in Gefahr
Die IRGC ist eine Eliteeinheit der iranischen Streitkräfte, deren Hauptaufgabe die Verteidigung des Mullah-Regimes und ihrer Staatsideologie ist. Seit Jahren werden schwere Vorwürfe der Folter, Menschenrechtsverletzungen und auch der Terrorunterstützung in anderen Ländern gegen sie erhoben. Auch im Ausland soll es viele Mitglieder geben, die auch hier für Einschüchterung und Gewalt sorgen.
Aus diesem Grund sollen wir auch den Namen der jungen Frau hier nicht schreiben. Besonders Menschen wie sie, die sich in der Politik engagieren, seien eine Zielscheibe für Anhänger und Spitzel des Mullah-Regimes. Auch hier in Deutschland sei man stets in Gefahr.
Ahmads (18) Vater kann deshalb heute auch nicht bei der Demo sein. Zu gefährlich sei das. Oft würden sich Mullah-Anhänger in die Menge der Demonstrant*innen mischen. Für Ahmad ist es aber wichtig, sich zu engagieren. Junge Leute sollen sich aktiv in die Politik einbringen und dort die Veränderungen fordern. Ahmad selbst ist bei den Jungen Liberalen (Jugendpartei der FDP) und lernt gerade für sein Abitur. Manchmal muss er sich zwingen, weniger Nachrichten zu gucken, weil er sonst den Fokus für die Prüfungsvorbereitung verliere. Es sei schwer, sich nicht von neuen Gräueltaten aus der Fassung bringen zu lassen. Das gelinge ihm nicht immer, denn die Ereignisse im Land seien dramatischer als man es hierzulande mitbekommt. Er habe auch Familie im Iran und langsam seien Nachrichten wie "Dein Onkel ist ins Gefängnis verschleppt worden, er wird wohl gefoltert werden" schon zur Normalität geworden. Seine Eltern seien, als er noch elf Jahre alt war, beide ins Gefängnis gekommen, sodass er zeitweise von seinen Großeltern aufgezogen worden ist.
Konakt zu Verwandten ist schwer
Nachrichten von den Verwandten zu bekommen, wird von Zeit zu Zeit schwieriger. Immer wieder bricht die Verbindung zu Verwandten ab. Das Internet sei schon lange außer Gefecht gesetzt. Besonders nach dem Giftanschlag auf die Mädchenschulen sei das schlimm gewesen, erzählt uns noch einmal die junge Frau. Denn ihre kleine Cousine geht immer noch regelmäßig zur Schule und viele Stunden, manchmal Tage liegen zwischen der Ungewissheit und der guten oder schlechten Nachricht, die von ihren Verwandten weitergegeben werden. Ihre Cousine hatte diesmal Glück. Bei ihnen ist es nicht zu Anschlägen gekommen.
Düsseldorfs OB Keller redet bei Demo
Im Laufe des Nachmittags sind viele hochrangige Politiker des Landes zur Demonstration gekommen. Die NRW-Minister Nathanael Liminski (Minister für Bundes-, Europa- und internationale Angelegenheiten sowie Medien) und Josefine Paul (Ministerin für Familie und Integration) redeten ebenso wie der Oberbürgermeister Stephan Keller und der selbst aus Teran im Iran stammende Generalsekretär der FDP Bijan Dijr-Sarai. Auch die CDU-Landesfraktion konnte in ihrer Mittagspause vorbeikommen und einige Worte an die Menge richten.
Das sei genauso geplant worden, sagen uns sowohl die junge Frau als auch die Hauptveranstalterin der Demonstration. Das Event sei dafür gedacht, gerade die Entscheider*innen unserer Politik zu adressieren, ihnen die Wichtigkeit und den Handlungsbedarf klarzumachen und diese ein bisschen anzutreiben. Deshalb wurde der Ort direkt vor dem Landesparlament und die frühe Uhrzeit gewählt. Zwar konnten um 14.30 Uhr weniger Aktivist*innen vorbeikommen, jedoch habe man bei den Politiker*innen Gehör gefunden. Großdemonstrationen, wie im Januar, an denen viele tausende Menschen teilnehmen, seien in näherer Zukunft wieder geplant.
Ein Tipp für euch: Wenn ihr euch für solche Events interessiert, aber Schule oder Ausbildung anstehen, könnt ihr bei euren Lehrer*innen oder Chef*innen nach einer Befreiung für die Zeit fragen. Auch Ahmad hat das so gemacht, da er die Demonstration durch seinen Nachmittagsunterricht sonst verpasst hätte.
Mit einer letzten musikalischen Aufführung des Sängers Dariush Safari und einer Tanzgruppe iranischer Frauen, die den ganzen Tag mit bekannten iranischen Liedern begleiteten, endete die Demonstration gegen 17 Uhr.
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