Theater
Eine Frau bei 1000° – Ein Parforceritt durch das europäische 20. Jahrhundert
06.02.2020
"Ich lebe hier allein in einer Garage, zusammen mit einem Laptop und einer alten Handgranate. Es ist wahnsinnig gemütlich."
Die 80-jährige Isländerin Herbjörg María Björnson befindet sich in den letzten Zügen ihres Lebens. Sie liegt auf einem Krankenhausbett in ihrer Garage, surft im Internet, begleicht letzte Rechnungen und kümmert sich um ihre eigene Einäscherung. In der Hand hält sie stets ein Relikt aus dem frühen 20. Jahrhundert - eine Handgranate, die sie von ihrem Vater zur Verteidigung geschenkt bekommen hat. Dabei wartet sie gleichermaßen auf den Tod oder die lebensverlängernde Spritze ihrer Pflegerin. Sie erzählt von ihrer langen Lebensbiografie, die sich durch die letzten acht Jahrzehnte Zeitgeschichte zieht.
EINE FRAU BEI 1000° heißt der Roman des isländischen Autors Hallgrímur Helgason, der 2011 veröffentlicht wurde. Am Schauspiel Köln hat sich nun Hausregisseur Moritz Sostmann, bekannt für seine Inszenierungen, in denen Menschen und Puppen gemeinsam auf der Bühne stehen, diesen Roman vorgenommen und ihn in der Außenspielstätte am Offenbachplatz inszeniert. Es spielt Magda Lena Schlott, die Herbjörg María Björnson und die anderen Figuren des Romans mittels ihres eigenen Körpers und einiger Puppen zum Leben erweckt. Deutschsprachige Erstaufführung war am 25. Januar.
Regisseur Moritz Sostmann komprimiert den 400 Seiten langen Roman auf eine Spieldauer von 80 Minuten. Ausgangspunkt der Erzählung ist ein Gespräch zwischen der dauerhaft qualmenden 80-jährigen Dame und ihrer viel jüngeren Pflegerin. Auf der Bühne sehen wir ein großes Bett mit einer verspielten Holzverkleidung und grüner Rückwand, an der sich Pflanzen ranken. Die Orte des Geschehens werden mittels weniger Requisiten und Stimmungen erzeugt und entstehen vor allem in den Köpfen der Zuschauer. In den Kontrast der zeitgeschichtlichen Erzählung wird immer wieder poppige Musik gesetzt. Die Puppen von Hagen Tilp sind abermals beeindruckend gestaltet und entwickeln mit der ersten Bewegung gleich ein Eigenleben und strahlen eine eigene Charakterzeichnung aus. Schauspielerin und Puppenspielerin Magda Lena Schlott führt die Puppen auf beeindruckende Art und Weise und gibt ihnen eine markante Stimme. Hingegen dünn bleibt ihre eigene Performance als Schauspielerin. Das führt an einem Monologabend wie diesem - trotz der vielen Puppen - zu einem Problem: Man bleibt als Zuschauer immer mal wieder während des Parforceritts durch die jüngere Zeitgeschichte auf der Strecke. Zurückholen kann einen dann nur die grantig, unverschämte Puppe der Herbjörg María Björnson, die als Charakter stets interessant bleibt. Was hat diese Frau in ihrem Leben alles erlebt, dass sie an ihrem Lebensabend so gezeichnet ist? Eine umfassende Antwort bietet die stark gekürzte Fassung der Romanadaption für die Bühne nicht. Vielleicht lohnt sich daher doch eher der Griff zum Buch.
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