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King Lear – Im Wartezimmer der Macht

20.09.2020

Lear, der König von Britannien, ist alt geworden. Er möchte nun die Regierungsverantwortung abgeben, um im Kreise der Familie den Lebensabend ausklingen zu lassen. Das Reich möchte er daher unter seinen drei Töchtern Regan, Goneril und Cordelia gerecht aufteilen. Dafür will er nur von ihnen wissen, wie sehr sie ihren Vater lieben. Die älteren Töchter beschwören auf poetischste und pompöseste Art und Weise ihre tiefe, umfassende Liebe zum Vater, doch Lears jüngste und liebste Tochter, Cordelia, weigert sich, sich dem Geheuchle ihrer Schwestern anzuschließen. Von Zorn durchtrieben und tief gekränkt, enterbt er das unverheiratete Mädchen und verstößt sie. Das Reich wird folglich in zwei Hälften geteilt und Lear wohnt fortan abwechselnd bei Regan und Goneril. Doch diese Entscheidung soll für Lear und das gesamte Königreich nicht folgenlos bleiben.

"König Lear" von William Shakespeare gilt als eines seiner grausamsten Dramen und entstand vermutlich im Winter 1604/1605 als in England die Pest wütete. Mitten in Zeiten der heutigen Corona-Pandemie hat nun Intendant und Regisseur Johan Simons das Königsdrama zum Spielzeitstart am Schauspielhaus Bochum inszeniert und nimmt die Figuren mit in eine Zeit der sozialen Isolation und Vereinzelung, in der mehr über- als miteinander gesprochen wird. Die Premiere war am 10. September. 

Die Inszenierung von Johan Simons setzt am Ende an. In dem Prolog gesteht Lear, gespielt von Pierre Bokma, der 2007 mit einem International Emmy Award ausgezeichnet wurde, sich und dem Publikum sein Alter und die damit einhergehende Schwäche ein und bittet eindringlich, den alten Mann nicht auszulachen. Wo hier noch das gutmütige Verständnis des Zuschauenden ansetzen will, fällt es beim Rücksprung an den Anfang des Stückes dann gleich wieder ab als Lear den rhetorischen Wettbewerb zwischen den Töchtern ausruft. Simons verwendet eine neue Lear-Übersetzung von der österreichischen Autorin und Dramatikerin Miroslava Svolikova, die er für seine Inszenierung in Auftrag gegeben hat. Die Klarheit der Sprache führt dazu, dass man den Spielerinnen und Spielern gerne zuhört und gleich versteht, worum es den Figuren geht - gerade auch, weil sie den Text und ihr Anliegen sehr nah an sich heranziehen und spürbar machen. 

Das liegt nicht zuletzt auch an der ästhetischen Form, die Simons für diesen Abend erdacht hat. Die Bühne teilt sich in zwei Bereiche: die Vorderbühne und ein riesiger hölzerner Raum, auf dessen Frontwand ein Live-Video in schwarz-weiß projiziert ist und der mehrere verschieden große rechteckige Öffnungen hat. Ein Wartezimmer der Macht quasi, ausgestattet mit Sesseln, Tischen und Stühlen, Wasserspender, Teeküche, Fernsehbildschirm und einer allzeit beobachtenden 360-Grad-Kamera. Die Figuren sitzen oder stehen darin jede und jeder für sich allein. Dialoge gibt es selbst auf der Vorderbühne kaum, auf der links ein Erdhügel aufgeschüttet ist und rechts am Bühnenbogen noch unbeirrt ein Propeller vor sich hin dreht. 

Die Inszenierung fokussiert sich sehr auf die einzelnen Figuren und ihre Motivationen und Intentionen. Schön anzusehen sind dabei auch die fantasievoll gestalteten Kostüme, die gerade bei den Töchtern Lears, von denen die beiden älteren von zwei männlichen Schauspielern gespielt werden, eine konkrete Genderzuschreibung spielerisch umgehen. Simons hat neben dieser Cross-Over-Besetzung auch die Zahl der Figuren zusammengestrichen. So spielt Anna Drexler zum Beispiel neben Cordelia auch zauberhaft die Rolle des Narren. Auffallend ist außerdem das grandiose Lichtdesign, das die Bühne zu immer wieder neuen Orten werden lässt.

Konsequent lässt Simons den letzten Akt dann von Anna Drexler als Regisseurin mit kühl vorgetragenen Anweisungen auf der Bühne führen, die die Figuren auf die Bühne geleitet, ehe diese dann wie Fliegen einfach tot umfallen. Nicht nur die Familie ist am Ende, sondern auch das gesamte Königreich, das in einem Krieg zwischen Britannien und Frankreich vor dem Verderben steht. Gewartet haben sie alle auf die Macht und geerntet doch nur den stillen Tod.


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von Marvin

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