Theater
Schwarzwasser – Ein szenischer Parcours durchs Depot
14.09.2020
Mai 2019. Ein politischer Skandal erschütterte Österreich, der schließlich zum Bruch der Regierungskoalition aus ÖVP und FPÖ führte. Auslöser der Affäre war die Veröffentlichung eines heimlich gedrehten Videos, in dem Heinz-Christian Strache, bis dahin Vizekanzler und Bundesparteiobmann der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), sowie Johann Gudenus, bis dahin Nationalratsabgeordneter und geschäftsführender FPÖ-Klubobmann, zu sehen sind. Die im Juli 2017, wenige Monate vor der Nationalratswahl, gedrehten Aufnahmen dokumentieren ein Treffen der zwei Politiker mit einer angeblichen Nichte eines russischen Oligarchen in einer Villa auf der spanischen Insel Ibiza. Dabei zeigten beide ihre Bereitschaft zur Korruption, Umgehung der Gesetze zur Parteienfinanzierung sowie zur verdeckten Übernahme der Kontrolle über parteiunabhängige Medien. Der Skandal ging daraufhin als "Ibiza-Affäre" in die Geschichte des deutschen Nachbarlandes ein.
Die österreichische Dramatikerin und Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek hat einen neuen Text für das Theater geschrieben, in dem sie unter dem Titel "Schwarzwasser" die Ereignisse der "Ibiza-Affäre" mit dem Antikenepos "Die Bakchen" verwoben hat. Jelinek schreibt in ihren Stücken stets gegen Missstände im öffentlichen, politischen, aber auch im privaten Leben der österreichischen Gesellschaft an und verwebt das tagesaktuelle Geschehen mit antiken Dramen. Ihr letztes Stück "Schnee Weiss", ein Affront gegen den Missbrauchsskandal im österreichischen Skisport, wurde im Dezember 2018 am Schauspiel Köln von Intendant und Regisseur Stefan Bachmann uraufgeführt. Mit "Schwarzwasser" hat Bachmann nun wieder einen Jelinek-Abend am Schauspiel Köln inszeniert. Deutsche Erstaufführung war am 12. September.
Et kütt wie et kütt – Das muss sich wohl auch Bachmann im März dieses ereignisreichen Jahres gedacht haben, als feststand, dass seine beinah fertig geprobte Inszenierung nicht und vor allem nicht in dieser Form Premiere feiern wird. Die Corona-Pandemie verhinderte die deutsche Erstaufführung im Frühjahr und führte dazu, dass Bachmann den gesamten Theaterabend uminszenieren musste. Herausgekommen ist dabei nun ein szenischer Parcours mit einzelnen Stationen durch die Ausweichspielstätte des Kölner Schauspiels, das Depot. Die Zuschauer*innen werden zu Beginn des Abends in sieben Fußgruppen eingeteilt, die dann gemeinsam Jelineks "Schwarzwasser"-Tümpel in und um das Theater erobern. An fünf Stationen wird das Publikum dann auch von jeweils einem oder einer Spieler*in des sechsköpfigen Ensembles erwartet, der oder die einen Ausschnitt des Textes in Monolog-Form präsentiert. Daneben gibt es auch eine Soundinstallation in einer kleinen verwinkelten Halle, in der die Darsteller*innen auf Bildschirmen zu sehen sind und chorisch (oder mit zeitlicher Versetzung) den Jelinek-Text sprechen. Außerdem gibt es Graffitikunst, inklusive Elfriede Jelinek Silhouette, an den Außenwänden des Gebäudekomplexes zu entdecken und eine Installation in einem Container, in dem die Situation des Strache-Videos nachgestellt ist - samt Strobolicht, Ibiza-Musik, reichlich Red Bull Dosen und Koks-Haufen. Des Weiteren zieren u.a. Strache-Plakate und Slogans die Wände des Depots.
Sieben Stationen sind es an diesem Abend, die die Zuschauergruppen in jeweils 10 Minuten begehen können. Doch das reine Zerteilen des Jelinek-Textes in in kurzer Zeit konsumierbare Performance-Brocken ist zweifelsohne fordernd. Man hat nur kurze Zeit, um sich in dem Textgebirge zurechtzufinden und dem kurzweiligen Spiel zu folgen. Dann wird die Gruppe wieder von schwarz maskierten, priesterlich anmutenden Guides abgeholt und zur nächsten Station gebracht. Das Klingeln einer Handglocke ist dann der Auftakt für die nächste Szene. Die Darstellungsform und das immer wieder Herausgerissen werden aus dem "Schwarzwasser"-Sumpf auf dem Weg zur nächsten Station erschöpfen nach einer Weile mehr und mehr und das stetige Schweigen während des Fußmarsches erstickt jegliche Diskussionsmöglichkeit über das Erlebte im Keim. Dennoch war es sicherlich die richtige Entscheidung, den Abend in neuer künstlerischer Form zu Beginn der neuen Spielzeit herauszubringen, anstatt auf Tag X Post-Corona zu warten. Und wer mit dem Theaterkosmos und seinen verwinkelten Gängen, Garderoben, dem Fundus, dem Lastenaufzug und der Hinterbühne noch nicht vertraut ist, hat hier die Gelegenheit, Backstage-Theaterluft zu schnuppern. Wobei der süßliche Red-Bull-Duft auch noch lange nach Verlassen des Carlswerk-Geländes, auf dem das Depot steht, und tiefer als gedacht, in der Nase zu sitzen scheint.
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