Freizeit
Theater-Intensivworkshop "Allein im Rosa Winkel" – Erinnern an die Verfolgung Homosexueller zur NS-Zeit
19.12.2024
Was ist der Rosa Winkel? Dieser und vielen weiteren Fragen sind sieben junge Menschen Anfang November in einem Theater-Intensivworkshop nachgegangen. Dabei im Fokus: die Verfolgung von (vermeintlich) Homosexuellen während des Nationalsozialismus. Dreieinhalb Tage arbeiteten sie intensiv zusammen und brachten abschließend ein Stück Geschichte, Erinnerungskultur und Aufklärung im Theatermuseum auf die Bühne. Doch warum konzentriert sich das Projekt "Allein im Rosa Winkel" ausgerechnet auf Düsseldorf? Und was geschah damals eigentlich?
Ein kleiner geschichtlicher Rückblick
Mit insgesamt rund 400 Verhaftungen war Düsseldorf zur NS-Zeit das westdeutsche Zentrum der Verfolgung (vermeintlich) Homosexueller nach Paragraph 175, einer Sondervorschrift im Strafgesetzbuch, die sexuelle Handlungen zwischen Männern verbot. Vor der Machtübernahme der Nationalsozialist*innen gab es bereits Bemühungen, den Paragraphen endgültig zu streichen. Doch das politische Klima änderte sich drastisch, und statt "abschaffen" hieß es nun "verschärfen".
Selbst ein Blickaustausch zwischen zwei Männern konnte in der NS-Diktatur für eine Verhaftung ausreichen. In den Konzentrationslagern mussten die nach Paragraph 175 Festgenommenen den Rosa Winkel auf ihrer Häftlingskleidung tragen, der sie als Homosexuelle kennzeichnete und vor den anderen Gefangenen stigmatisierte. Das Ganze wirkt sehr weit weg, dabei ist es eigentlich noch recht nah. Nicht zuletzt, weil eine abgeänderte Version des Paragraphen 175 noch bis 1994 in der Bundesrepublik Deutschland im Strafgesetzbuch stand.
Wissenslücken füllen
Unsere junge Generation, Gen Z, gilt als gut informiert und aufgeklärt. Gerade in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg scheint die Schule ein breites Wissen zu vermitteln. Doch wenn es um die Verfolgung nach Paragraph 175 und den Rosa Winkel geht, klafft bei vielen eine große Lücke. Vielleicht gab es einen kurzen Abschnitt im Geschichtsbuch, eine flüchtige Erwähnung im Nebensatz, dass auch Homosexuelle verfolgt wurden. Mehr oft nicht. Kein Wunder also, dass sowohl im Team um Regisseur Marvin Wittiber als auch bei den jungen Teilnehmer*innen eine Menge an Wissen fehlte, was die Recherchearbeit umso entscheidender machte.
Bereits Wochen vor Beginn des Workshops begaben sich Marvin Wittiber und Simone Saftig auf eine intensive Recherchereise, unter anderem ins Stadtarchiv und in die Mahn- und Gedenkstätte in Düsseldorf. "Am eindrücklichsten war jedoch unsere Arbeit im NRW-Landesarchiv", berichtet Simone. "Dort haben wir zahlreiche Gestapo-Akten durchforstet – was nicht immer einfach war. Wenn man tagelang inmitten solcher Täterakten verbringt, geht das nicht spurlos an einem vorbei."
m Rahmen des Workshops besuchten die Teilnehmenden die Mahn- und Gedenkstätte, um einen Vortrag über die Verfolgung der queeren Szene Düsseldorfs zur NS-Zeit zu hören. Zurück im Probenraum durchforsteten sie Bücher zum Thema, sichteten Filmmaterial und kamen in den Austausch über die Schicksale der verfolgten Menschen, viele von ihnen selbst noch Jugendliche oder junge Erwachsene. Neugier und Wissensdurst mischten sich mit einer drückenden Schwere
Die Geschichte weitertragen
Was bedeutet ein solcher Workshop für die jungen Menschen, die selbst teilnahmen?
"Mich hat die Auseinandersetzung mit dem Thema sehr bewegt. Ich hatte das Gefühl, dass meine queere Identität viel mehr ist als nur etwas, was ich persönlich auslebe, sondern dass Queersein eine Geschichte hat und es gewissermaßen nun meine Aufgabe ist, diese Geschichte mit mir zu tragen und sie weiter zu erzählen." – Leni (17)
Die Gedanken zu sortieren, selbst die richtigen Worte zu finden, um über die schrecklichen Ereignisse der Vergangenheit aufzuklären, kann ganz schön überwältigend aber gleichzeitig enorm bereichernd sein. Ein Kernstück des Projekts war daher ein Schreibworkshop mit Simone, in dem persönliche Texte entstanden, die später ein zentrales Element der Aufführung darstellten. "Ich wollte den Teilnehmer*innen mitgeben, dass sie auf ihre eigenen Worte vertrauen können", erklärt Simone. "Dass die Texte der Teilnehmer*innen schließlich eine Bühne bekommen sollten, war mir von vornherein klar. Sie sollten sehen, wie ihre Texte berühren können."
In der finalen Präsentation verschmolz die intensive Recherchearbeit nicht nur mit bewegenden Texten, sondern zusätzlich auch mit musikalischen Elementen. Am Tag der Aufführung erarbeiteten die Teilnehmer*innen mit Musiker Andrei Vinnik eine chorische Performance und auch kraftvolle Interpretationen ihrer persönlichen queeren Lieblingssongs flossen in das abschließende Ergebnis ein.
Aufruf zum Erinnern
Mit vielen Fragen sind die Teilnehmenden in den Workshop gestartet, haben zahlreiche Antworten gefunden, doch bleiben einige Fragen auch nach der Aufführung noch offen.
Warum wurde den queeren Opfern der NS-Diktatur erst 2023 offiziell im Bundestag gedacht? Und wie können wir die Geschichte angemessen an Menschen verschiedener Generationen weitertragen? Denn eines ist sicher: Erinnern ist unabdingbar – darin sind sich das Workshop-Team und die Teilnehmer*innen einig.
"Mir ist es wichtig, an diesen Paragraphen zu erinnern, gerade weil es nicht allzu lange her ist, dass er abgeschafft wurde, und es in vielen Teilen Deutschlands noch an Akzeptanz für die queere Szene fehlt", sagt Leni (17).
Menschen aus der queeren Community leben häufig immer noch in Angst um ihre eigene Sicherheit, und die Zahl queerfeindlicher Straftaten in Deutschland steigt wieder an. Deshalb ist es umso bedeutender, unsere Geschichte aufzuarbeiten – vor allem an Schulen. Sei es durch Projekttage, Besuche der Mahn- und Gedenkstätte oder Theater- und andere Kunstprojekte, die sicherstellen, dass bald viele junge Menschen Antworten haben auf Fragen wie "Was ist der Rosa Winkel?"
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