Es ist 23
Uhr. In einen warmen Schlafsack gehüllt, liege ich auf einer Matratze, die
teilweise so aussieht, als wenn sie schon zwei Winter überdauert hätte. Die einzige
Lichtquelle sind zwei Kerzen, die auf einem Tisch in der Mitte des Raumes
stehen. Im Flackern des Kerzenlichts, lese ich die Titel der Bücher, die in dem
Regal an der Wand stehen. Es sind Romane, zum Beispiel “Robinson Crusoe”. Man hört
nichts außer dem Knistern des Feuers im Ofen, dem Atmen der anderen Menschen
und ab und zu bringt ein Windstoß die Blätter der Bäume zum Rascheln.
Hier liege
ich nun und denke nach. Das ist der Ort, an dem ich mich geborgen fühle. Das
hier ist der Ort, an dem ich Menschen treffe, von denen ich weiß, dass sie
alles dafür tun werden eine bessere Welt zu erschaffen. Hier bin ich bei
Menschen, denen es egal ist, dass sie von vielen der Gesellschaft und in den
Medien oft als “Chaoten” oder sogar “Terroristen” dargestellt werden. Hier
wurde ein System gelebt, in dem es weder Geld, noch Herrschaft gibt. Hier steht
jeder Mensch auf der selben Stufe und niemand hat ein Streben nach Macht oder Geld.
Das hier ist eine Gemeinschaft die zusammen hält und jeder ist willkommen.
Ich bin im
Hambacher Forst. Nach einem anstregenden Tag liege ich in einem Baumhaus und
versuche so langsam zu schlafen. Draußen ist es vermutlich fünf oder sechs Grad. Ich
denke an den Tag, der hinter mir liegt und an die Situation im Hambacher Forst.
Nachdem die
Klage des BUNDs in erster Instanz abgewiesen wurde, haben die Rodungen Anfang
der Woche im Forst begonnen. Es gab zahlreiche Proteste. Der BUND ist in die
nächste Instanz gegangen und hat so einen weiteren Rodungsstopp erwirkt.
Heute am Tag
danach wurde weiter gebaut, um noch besser gegen Rodungen und Räumungen
gewappnet zu sein. Ich habe weiter an Barrikaden gebaut, die es Polizeiautos und
Autos des Securitydienstes schwerer machen sollen, nah an die Besetzungen heranzukommen.
Für alles, was dort gebaut wird, wird totes Holz benutzt. Da wir im Wald kein
schweres Werkzeug haben, ist alles, was gebaut wird mühsame Handarbeit, die
aber Spaß macht, da alle überzeugt sind, das Richtige zu tun.
Abends am Feuer
Als wir abends
am Feuer sitzen und zu Abend essen, erzählen viele andere, was sie an dem Tag
erlebt haben. Einer erzählt, dass ihm heute von einem RWE-Mitarbeiter vorgeworfen
wurde, dass wir alle ja vom BUND bezahlt werden. Alle lachen. Die Atmosphäre ist
sehr entspannt. Jemand anderes, der auf einer Demo in Düsseldorf vor dem
Landtag war, erzählt und zeigt Blätter, die von Mitarbeitern einer Bergbaugewerkschaft
verteilt wurden. Auf ihnen steht dick “Gegen von BUND geförderte Gewalt”. Zu
sehen sind Bilder, die zeigen sollen, wie gewalttätig wir alle sind. Zu sehen
ist unter anderem ein Auto des RWE-Sicherheitsdienstes, dass sich überschlagen
hat. Die Geschichte von RWE ist, dass Aktivisten das Auto angegriffen und
umgedreht hätten, so stand es auch in den lokalen Zeitungen. Die Geschichte der
Aktivisten dazu lautet, dass das Auto einfach zu schnell und unvorsichtig
gefahren sei und sich dann überschlagen hat.
Ein anderes
Bild zeigt, wie in der Zeitung stand, dass Aktivisten Rettungskräfte bei der
Rettung einer verunglückten Frau behindert hätten. Aktivisten, die dabei waren
erzählten, dass sie die Ersten waren, die am Unfallort gewesen seien und dass
sie dann Erste Hilfe geleistet hätten. Niemand habe Rettungskräfte behindert,
als diese dann eintrafen.
Da ich weiß
(und das sind belegbare und öffentliche Fakten), dass RWE, Politik, Polizei und
die lokale Presse sowohl finanziell, als auch teilweise personell vernetzt
sind, weiß ich, welchen Geschichten ich glaube. Teilweise habe ich es selber
schon erlebt, wie Unwahrheiten über Aktivisten und Aktivistinnen in lokalen Medien
verbreitet wurden.
Ein weiteres
der Bilder zeigt ein Werbeplakat aus dem Dritten Reich, wo für Braunkohleabbau
geworben wird. Leider habe ich keine Ausfertigung des Blattes im Internet gefunden,
deshalb kann ich es nicht zeigen.
Bei dem Gedanken
an die Erzählungen am Abend fange ich an zu lächeln, wie absurd ist doch dieses
ganze Wirtschaftsdenken und wieso argumentieren Politiker damit, Arbeitsplätze
bei RWE schützen zu wollen, und ignorieren dabei, dass durch Folgen des
Braunkohleabbaus Menschen, Tiere und Pflanzen sterben!
Zwei Rehe
Eine letzte
Geschichte, die abends erzählt wurde, macht mich noch einmal traurig und wütend
zugleich. Eine Aktivistin erzählt, dass sie morgens, als sie wach geworden ist,
aus dem Fenster geschaut hat und zwei Rehe gesehen hat, die durch den Wald gehüpft
sind. Plötzlich standen sie auf einem freien Feld. Es war der Ort an dem am Tag
vorher gerodet worden war. Die Rehe bleiben stehen und versuchen zu verstehen,
was da passiert ist. Gestern war hier noch ihr Wald in dem sie gelebt haben.
Heute ist er weg. Langsam gehen sie zurück in den Wald und verschwinden im
Unterholz.
Die
Geschichte dämpft meine Stimmung. Nichtsdestotrotz wird mir klar, wie wichtig
es mir ist, in dem Wald zu sein und Widerstand zu leisten. Hier lebe ich meinen
Traum einer besseren Welt.
Irgendwann
schlafe ich dann beim Knistern des Feuers ein.
Ein youNEWS-Beitrag von
Veröffentlicht am
3. Dezember 2017
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