Der Brite Howard Webb ist Schiedsrichter bei der WM und hat es nicht immer leicht. Er muss immer den richtigen Standpunkt zum Spielgeschehen haben. Ronnie Macdonald (CC BY 2.0)
Der Psychologe Markus Huff von der Uni Tuebingen stand uns Rede und Antwort. Markus Huff
Schiedsrichter stehen ständig in der Kritik. Markus Huff von der Uni Tübingen warnt vor einem Schiri-Bashing. Der Psychologe beschäftigt sich mit der Wahrnehmung von Schiedsrichtern in komplexen Spielszenen. Und die kann ihnen manchmal einen Streich spielen. Die meisten Entscheidungen seien aber korrekt.
Bei dieser WM wird nach den Spielen viel über die Schiedsrichter diskutiert. Stehen sie zu sehr im Mittelpunkt? Markus Huff: Das ist sehr spannend. Die Schiedsrichter sind enorm wichtig und leisten wirklich gute Arbeit. Es gibt natürlich auch Schiris, deren Leistung nicht überzeugt. Das darf dann diskutiert werden. Wir sollten nur aufpassen, dass es kein Schiedsrichter-Bashing gibt.
Während dieser WM wurde die Torlinientechnik zum ersten Mal beim Sieg der Franzosen gegen Honduras gebraucht. Beim 2:0 konnte man nicht mal in der Zeitlupe erkennen, ob der Ball wirklich hinter der Linie war. Ist die Technik eine gute Entscheidung?
Ich finde schon, denn sogar die Schiedsrichter selber wollen die Technik. Man kann gar nicht alles sehen. Die Schiedsrichter müssten immer den richtigen Standpunkt zum Geschehen haben – was bei der hohen Geschwindigkeit des Spiels schlicht unmöglich ist. Ich bin ein großer Fan der Torlinientechnik.
Im Eröffnungsspiel von Brasilien gegen Kroatien hat der Schiedsrichter bei der Situation gegen Fred auf Elfmeter entschieden, obwohl es eindeutig keiner war. Er hatte eine klare Sicht auf das Spielgeschehen. Da wäre ein Videobeweis für den Schiri von Vorteil, oder?
Wir fangen mit der Torlinientechnik an, wo hören wir auf? Aus meiner Sicht wäre der Videobeweis nicht gut, da das Fußballspiel aus der Dynamik lebt. Der Videobeweis würde das Spiel unterbrechen und damit die ganze Dynamik herausnehmen. Manche Situationen sind einfach nicht zu sehen. Das heißt jedoch nicht, dass man die Leistung von Schiedsrichtern nicht durch Training in der Schiedsrichterausbildung verbessern kann. Bei der Situation mit Fred spielt uns die Wahrnehmung einen Streich. Wir denken, dass da eine Berührung stattgefunden haben muss, weil der Spieler zu Boden geht.
Beim Sieg der Holländer im Achtelfinale gegen Mexiko ist Robben im Strafraum mehrfach gefallen. Ein eindeutiges Foul wurde nicht anerkannt. Der anerkannte Elfmeter war aber kein Foulspiel. Die Schiedsrichter kennen doch die Regeln. Wieso dann die vielen Fehler gerade auch bei der laufenden WM?
Wenn die Schiedsrichter die ideale Perspektive haben, dann sind die Entscheidungen meistens auch korrekt. Unsere Wahrnehmung wird jedoch auch von Erwartungen beeinflusst. Bei Robben ist es zum Beispiel bekannt, dass er gerne fällt. Also erwartet der Schiedsrichter das auch und gibt nicht so schnell einen Elfmeter, wie bei einem Spieler, der nicht so häufig fällt. Die Erwartungen spielen also dabei eine große Rolle.
Kann man die Wahrnehmung schulen?
Die Schiedsrichter trainieren die Wahrnehmung. Unsere Forschungsergebnisse haben jedoch auch gezeigt, dass sich Schiedsrichter sehr sicher sind, dass ihre Entscheidungen korrekt sind – auch wenn sie offensichtlich falsch sind. Ich glaube von daher nicht, dass man das wirklich schulen kann, da die wirklich schwierigen Situationen immer die unerwarteten sind. Beim Phantomtor in Hoffenheim von Stefan Kießling in der vergangenen Bundesliga-Saison ist das Unerwartete in den Vordergrund gerückt. Niemand hat damit gerechnet, dass der Ball vom Außennetz durch ein Loch ins Tor gehen kann. Deswegen wird das Unerwartete wird immer ein Problem sein für die Wahrnehmung.
Aber Kießling hat ja gesehen, dass der Ball am Tor vorbeiging. Das ist auch in jeder Zeitlupe zu sehen. Woran liegt es, dass dann trotzdem alle glauben, der Ball sei im Tor gewesen?
Man muss zwischen der Wahrnehmung eines Ereignisses und der Erinnerung daran differenzieren. Die Spieler sind unsicher, aber sie haben dann ja doch den Ball im Tor gesehen. Wie soll der da reingekommen sein, als regulär durch die Pfosten? Jetzt werden die Erinnerung und damit das Gedächtnis für das Ereignis unbewusst verändert. Meiner Meinung nach hat Kießling seiner eigenen Wahrnehmung zunächst nicht getraut, dann aber tatsächlich geglaubt, dass es ein reguläres Tor war. Dies zeigt sehr deutlich, dass es immer wieder Momente gibt, in denen die menschliche Wahrnehmung zum Problem wird.
Die Schiedsrichter stehen sehr stark im Fokus. Wie stark ist der Druck auf sie?
Der Druck ist enorm. Es gibt ja jetzt sogar Apps, bei denen die Leute auf ihrem Sofa alle Situationen nicht nur in der Zeitlupe sondern auch noch in 20 verschiedenen Perspektiven sehen können. Meistens ist dann zu erkennen, dass die Entscheidungen korrekt waren. Das zeigt, dass die Schiedsrichter gut sind. Und das, obwohl sie die Situation aus nur einer Perspektive und ohne Zeitlupe sehen und diese dann sekundenschnell beurteilen und entscheiden müssen. Um mit diesem gestiegenen Druck umgehen zu können, werden die Schiedsrichter geschult, sowohl psychologisch als auch im Umgang mit den Medien. Dennoch ist der Druck auf sie extrem gestiegen. Das ist keine leichte Aufgabe für die ich sie bewundere.
Das Interview führte Zeev Reichard.WM 2014 in Brasilien - das große Special youpod über: Fußball und Fans, Land und Leute
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