Der zerbrochne Krug – Ein zeitloser Beitrag zur #MeToo-Debatte
10.11.2018
Der Hahn kräht, paradiesische Musik, warme abgedunkelte Lichter, Vogelgezwitscher und die Spielerinnen und Spieler singen im Chor eine Melodie aus "La's" und "Li's". Der Dorfrichter Adam liegt halbnackt auf dem Rücken am Boden, während ihn die junge Eve in Unterwäsche mit einem Apfel in der Hand umtänzelt und er ihr schmachtend hinterhereifert. Dieser feuchte Männertraum mit Motiven aus der Schöpfungsgeschichte ist bereits so entlarvend, aussagekräftig und verrät uns gleich zu Beginn eigentlich schon alles, was wir wissen müssen.
Die Regisseurin Laura Linnenbaum gibt ihr Regie-Debüt am Düsseldorfer Schauspielhaus und hat sich dafür beim Kernrepertoire des deutschsprachigen Theaters bedient: Das Lustspiel Der zerbrochne Krug von Heinrich von Kleist.
Sie inszeniert den Klassiker als einen brandaktuellen Beitrag zur #MeToo-Debatte, der am 8. November im Central auf der kleinen Bühne Premiere feierte. Den lautesten Applaus erntete dabei Cennet Rüya Voß, die die Eve verkörperte. Während des Stückverlaufs kaum groß in Erscheinung getreten, überzeugte sie in ihrem zutiefst berührenden Schlussmonolog, den ihr Linnenbaum, nach Heinrich von Kleists Kürzung, in Fülle zurückgab.
In Kleists Text Der zerbrochne Krug geht es um den Dorfrichter Adam, der morgens von seinem Schreiber Licht auf dem Boden entdeckt wird. Adam ist mit Schrammen und Wunden übersät, der Fuß verletzt, der Kopf angeschlagen. Doch auf Nachfrage, was denn passiert sei, gibt Adam an, beim Aufstehen aus dem Bett gestürzt zu sein und sich so die Wunden zugefügt zu haben. Die Geschichte klingt alles andere als plausibel, doch für tiefergehende Nachfragen und Nachforschungen seitens Lichts bleibt keine Zeit, denn der Gerichtsrat Walter hat sich angekündigt und ist auf dem Weg ins Gericht zu ihnen. Walter zieht zur Zeit durch die Landen und untersucht die Korrektheit der Rechtsprechungen der Gerichte. Doch ehe sich der Dorfrichter Adam zurecht machen kann, die Wunden verkleiden und die Richter-Perücke aufsetzen kann, steht bereits der Gerichtsrat in der Türe. Und dann ist heute auch noch Gerichtstag und ein Fall muss verhandelt werden. Es geht um einen Krug, der gestern Abend im Zimmer von Marthe Rulls Tochter, der Eve, zu Bruch gegangen ist. Die Mutter beschuldigt den Verlobten ihrer Tochter, doch der will es nicht gewesen sein und will keinen Schadensersatz zahlen. Stattdessen will er nun die Verlobung mit Eve auflösen. Tatsächlich war es auch nicht, aber wer tatsächlich in Eves Kammer war, darüber schweigt das junge Mädchen. Zum Glück für Dorfrichter Adam, der nun in der Verhandlung das Offensichtliche zu vertuschen versucht. Doch es geht um viel mehr als nur den zertrümmerten Krug. Es geht um Machtmissbrauch, Urkundenfälschung, Erpressung, Vertuschung und sexuelle Nötigung. Dass er schließlich doch noch überführt wird, ist einzig und allein der Frau Brigitte zu verdanken.
Die Lesart der Regisseurin, die die Geschichte als #MeToo-Beitrag zur aktuellen Debatte versteht, ist konsequent und durchdacht inszeniert worden. Sie erzählt von dem Machtmissbrauch eines Richters, dem Wegschauen der Gesellschaft, der Erniedrigung der Frau gegenüber dem Mann und das systematische Vertuschen eines Systems. Der Abend gipfelt in der Schlussszene, in dem der Gerichtsrat Walter dem Evchen nicht nur einen patriarchalen Kuss gibt (wie es von Kleist geschrieben wurde), sondern sie dann auch noch selber vor den Augen des Publikums vergewaltigt. Es erinnert stark an den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche, bei dem ja auch viele Machthaber einfach systematisch weggeschaut haben, es vertuscht haben und teilweise ja auch selber straffällig geworden sind.
Dem Zuschauer, dem an diesem Theaterabend, zu recht, oftmals zum Lachen zumute ist, bleibt schlussendlich das Lachen im Halse stecken. Eine Inszenierung, die mit der Komik des Offensichtlichen spielt, streckenweise ironisch erheiternd ist und mit einer enormen emotionalen Spannung im Zuschauersaal endet. Wahrhaft ein aktueller Beitrag zur aktuellen gesellschaftlichen Situation rund um #MeToo.
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