"Was möchte mir das Universum mitteilen?", fragte sich Lesley, als sie sich langsam den Schreibtischstuhl herunterrutschen ließ und dabei ihren in drei Rollen gefalteten Bauchspeck begutachtete. "Was für ‘ne Scheiße, letzten Sommer hatte ich ein Sixpack, und jetzt? Jetzt quillt der Speck schon in drei Lagen über die ganze harte Arbeit! Ohne Sinn!!!", dachte sie sich und als sie am Boden ankam, hörte sie, wie ihr Mathelehrer Herr Walz mit der nächsten Aufgabe fortfuhr und sie aufforderte sie zu lösen. "Wieso trifft es immer mich?"

Auf dem Boden stapelten sich die Chipstüten, leeren Energydrinks und alles, was jetzt an schöne Zeiten erinnerte, waren die Fotos von vor zwei Jahren aus dem Italienurlaub. "Da war noch alles super chillig", dachte sie .

Lesley hatte ihren Schlafanzug an, wobei zumindest das Oberteil vermuten ließ, sie hätte sich die Mühe gemacht und etwas Ordentliches für die Online-Konferenz angezogen. "Was habe ich falsch gemacht, dass ich so bestraft werde und hier eingehe unter den schlimmstmöglichen Bedingungen, ich mein, es gibt wohl nix schlimmeres als einen Schwabbelbauch zu haben und keine Freunde sehen zu dürfen, oder?!"

"Ich habe immer alles gemacht, was man von mir verlangt hat, und was hat‘s mir gebracht?", hatte sie gerade versehentlich ausgesprochen, da fiel ihr ein, dass sie ihr Mikro nicht auf stumm geschaltet hatte und sie nun jeder anschaute. Normalerweise wäre ihr so was nie passiert, da Lesley sehr darauf bedacht war, nie zu sagen, was sie wirklich dachte und genau das zu tun, was man von ihr verlangte.

Schnell schaltete sie die Kamera aus und murmelte irgendein wahlloses Zeug in ihr Mikro, mit inszeniertem Rascheln im Hintergrund, damit Herr Walz dachte, es seien mal wieder Internetstörungen. 

"Lesley??", rief Herr Walz in sein Mikro und tippte aufgeregt auf seiner Tastatur herum. "Lass diesen Tag enden, lieber Gott, ich hab Hunger und mein Akku ist bald leer, wenn der jetzt noch weiter über Funktionen labert", dachte sie, während sie ihr Bild wieder einschaltete und ein leises "Sorry, schlechtes WLAN!" in den Bildschirm summte.

Sie hatte gerade ihren virtuellen Hintergrund von einer Blumenwiese zu einem Bild von Miley Cyrus im BH auf einem wrecking ball geändert, da verschluckte Herr Walz sich an seinem morgendlichen Kaffee und Lesley dachte sich, dieser Tag wäre perfekt für ein wenig Rebellion, die sie ja sonst nicht anging, da sie immer das tat, was man von ihr verlangte.

"Frau Schreiber, wären sie so freundlich und würden ihr höchst unvorteilhaftes Hintergrundbild umgehend ändern? Die Blumenwiese war mir um einiges lieber und ich gehe nicht davon aus, dass eine halbnackte Miley Cyrus auf einer Abrissbirne meinen Unterricht in welcher Weise auch immer fördert!", schrie Herr Walz latent gereizt in sein Mikrofon und Lesley wurde rot, was sie von ihrem Plan der Rebellion allerdings in keinster Weise abbringen konnte. 

"Kommen Sie schon, beenden Sie einfach die Sitzung, wenn Sie den Anblick der halbnackten Miley Cyrus nicht ertragen!", dachte sie und Herr Walz forderte sie erneut auf, das Bild zu ändern, was sie jedoch ignorierte. Herr Walz fuhr sichtlich genervt mit dem Unterricht fort.

"Wie schaffe ich es, dass er diesen langweiligen Unterricht beendet und ich endlich wieder netflixen kann?" Lesley erhob ihre Hand virtuell und wiederholte dies so lange, bis Herr Walz auch hierauf einging, denn es störte sichtlich seinen Unterricht und er war so viel Stress von Lesley nicht gewohnt, da sie immer die Vorbildfunktion der Klasse übernahm.

"Lesley??" Lesley sagte nichts. "Lesley???" Lesley sagte wieder nichts und als Herr Walz zum dritten Mal ansetzte, um ihren Namen zu brüllen, rutschte sie ein klein wenig mehr nach links im Bild, weswegen der vormals von Herrn Walz als unvorteilhaft bezeichnete halbnackte Hintern von Miley Cyrus gänzlich zu sehen war.

Herr Walz beendete die Konferenz mit rotem Kopf und Lesley feierte ihren Triumph über die beendete Qual der Mathe-Konferenz, um sich in ihrem Schlafanzug im Bett wieder gänzlich der Netflix-Serie zu widmen.

Plötzlich vibrierte ihr Handy wegen einer neuen Nachricht. "Das ist bestimmt Ella wegen der Zoom-Party", dachte sie und als sie sich zum Telefon auf dem Nachttisch streckte, sah sie, es war nicht Ella, sondern die Schulleitung höchstpersönlich.

"Suspendierung" prangte in fett gedruckten Buchstaben auf ihrem Bildschirm. "Lesley??" Auf einmal ging ein grelles Licht an. Die Rollläden fuhren hoch und Miley Cyrus hing noch immer als Poster über ihrem Bett.

Autorin: Von Pia Dix

Dieser Text ist im Bildungsgang "Sprache und Literatur" an der Lore-Lorentz-Schule entstanden. Im Rahmen des Faches Literatur verfassten die Schülerinnen und Schüler der elften Klasse Kurzgeschichten zum Thema "Jungsein in Zeiten von Corona".