Wer an Brasilien denkt, hat schnell zwei Klischees im Kopf: Fußball und Samba. Tatsächlich sind diese Traditionen in der Bevölkerung wichtig. Und sie hängen sogar eng zusammen. Die organisierten Fußball-Fangruppen, die Torcidas, machen nicht nur im Stadion Stimmung. Viele haben eigene Karnevalsvereine, die Sambaschulen.
Fußball und Samba passen zusammen. Für André Silva Azevedo ist das klar. Der Präsident der Torcida "Dragões da Real" vom FC São Paulo erklärt: "Unsere Mitglieder waren schon immer große Fans von Sambaschulen. Warum sollten wir dann keine eigene aufmachen?" Das haben sie vor 14 Jahren getan. Und die Leidenschaft der Torcida, wie man die organisierte Fangruppe in Brasilien nennt, hält an.
Fußballfans schätzen den Karneval aus den gleichen Gründen wie andere Brasilianer: Zusammen feiern, hält zusammen. "Jedes gemeinsame Handeln fördert die Identifikation", erklärt Ina Peters, Politikwissenschaftlerin vom Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien in Hamburg. "Das gilt besonders für den Karneval." Selbst der Staat versuche, durch den Karneval etwas Gemeinsames und Friedliches zu betonen. Er wolle die kulturelle Vielfalt herausstellen.
Karneval verbindet
Dabei ist die brasilianische Gesellschaft extrem ungleich, gibt Sérgio Costa, Soziologe am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin, zu bedenken. Deswegen konnte der Karneval in Brasilien so gut gedeihen: "Was dabei zählt, sind nicht Geld, Bildung oder politische Macht, sondern die Beherrschung der Kunst des Feierns. Auch arme Leute können Karnevalskönige werden", sagt Costa. Früher feierten Arme und Reiche getrennt. Als in den 20er Jahren die ersten Sambaschulen gegründet wurden, vermischten sich Kulturen, Hautfarben und Stile.
Die Sambaschulen der Fußballfans sind jünger. Die Torcida "Dragões da Real" gründete im Jahr 2000 ihren Karnevalsverein. Auch er vereint Menschen: Zu ihm gehören heute 16.000 Brasilianer aus dem ganzen Land – ebenso viele und die gleichen wie zum Fußball-Fanclub. Fanclub und Sambaschule sind also eins.
Fußball und Karneval sind eins
Auch das System des brasilianischen Karnevals ähnelt dem des Fußballs. Es gibt fünf Ligen mit einer Topgruppe. Die Sambagruppen können auf- und absteigen. Darüber entscheiden Punktrichter. Sie beurteilen Tänzer, Kostüme, Wagen, Choreographien, Musik und Kreativität. Die zeigt sich vor allem bei den großen Karnevalsumzügen, die durch Stadien ziehen, die allein für die Züge errichtet wurden. Eines der bekanntesten ist das Sambódromo in Sao Paulo.
Die "Dragões da Real" haben in der fünften Karnevalsliga angefangen und halten sich seit drei Jahren in der ersten Liga. Dieses Jahr belegten sie unter dem Karnevalsmotto "80er Jahre" den fünften Platz. Knapp vorbei am Titel des Karnevalsmeisters.
Im Fußballstadion geht es zwar nicht ganz so bunt und schrill zu wie bei den Karnevalsumzügen. Doch riesige Schwenkfahnen, Choreographien und selbst Musikgruppen mit Instrumenten haben die Torcidas dort auch dabei. Sie feuern ihre Mannschaft nicht nur an, sondern feiern sie regelrecht 90 Minuten.
Karneval und Kommerz
Übrigens gibt es sowohl aus den Fußball- als auch aus den Karnevalsstadien Live-Übertragungen im Fernsehen. Sie sind beliebt. Die Einschaltquoten sind hoch. Aber sie deuten auch auf eine Kluft hin. Der Karneval ist mittlerweile sehr kommerziell. Seit den 80er Jahren hat sich eine Karnevalsindustrie entwickelt, an der die Plattenindustrie ebenso hängt wie der Tourismus. Die Eintrittspreise sind hoch. Die teuren Plätze leisten sich häufig Touristen, viele Einwohner gehen auf die Stehplätze. "Da zeigt sich die Spaltung in der brasilianischen Bevölkerung", sagt Politikwissenschaftlerin Peters. "Die finanzielle Kluft steht im Vordergrund."
Im Fußball hat sich die Kommerzialisierung in den Jahren vor der WM 2014 noch mal verstärkt. Auch hier stiegen die Eintrittspreise. Viele Fans klagen darüber, sich die Ligaspiele nicht mehr leisten zu können. Und Tickets für WM-Spiele sowieso nicht. Selbst die eingefleischten Fans der "Dragões da Real" gehen seit Mitte Juni nicht ins Stadion. "Wir haben kein Interesse an der WM", sagt Präsident Azevedo. "Die WM ist zu teuer und zu schlecht organisiert." Er werde die Spiele mit 2000 anderen Fans der Torcida auf einer Großleinwand in der Karnevalsbauhalle verfolgen. Die Halle ist Teil des Vereinsheims.
Feinde im Karneval
Und noch etwas ähnelt sich bei Fußball und Karneval: die Rivalität. Da viele Fußballfans mittlerweile "Escolas de Samba" haben, kommt es nicht nur an Spieltagen zu Auseinandersetzungen, sondern auch im Karneval. Um das zu verhindern, treten verfeindete Torcidas bei den Paraden an verschiedenen Tagen an. "Außerdem ist die Auszählung der Richterpunkte öffentlich", sagt Azevedo, "damit sich die Gruppen nicht gegenseitig an den Kragen gehen." Azevedo selbst will lieber mit anderen Torcidas zusammenarbeiten als gegen sie, sagt er. "Das ist aber nicht bei allen so", gibt er zu bedenken.
Einige Sambaschulen gibt es überhaupt nur wegen eines Gewaltproblems im Fußball. Als Schlägereien in den 90er Jahren zunahmen und sogar Todesopfer forderten, wollten Staatsanwaltschaften einige Torcidas verbieten. Die Fans gründeten schnell Karnevalsvereine, um einem Verbot zuvorzukommen.
Denn die Karnevalsvereine sind wichtige Institutionen in Brasilien. "Sie sind gesellschaftlich akzeptierter als die Torcidas", versichert der Dragões-Präsident. Die Regierung gebe ihnen sogar Geld. Das soll die Kultur fördern. Die Gruppen bauen damit große Hallen, in denen sie das ganze Jahr über die Umzüge planen und die Wagen bauen können. Eine Karnevalssaison, die immer unter einem bestimmten Motto steht, verschlingt da schon mal 300.000 bis 400.000 Euro.
Treffpunkte für jeden Tag
Die Hallen gehören zu den Vereinssitzen der Torcidas. Sie sind kaum mit Räumen, Kneipen oder Fanläden zu vergleichen, die einige deutsche Fangruppen betreiben. Die Brasilianer haben Art Gemeindezentren, in denen sich die Fans, Jugendliche der Gegend und Anwohner treffen. Es gibt Fanshops, Party- und Fernsehräume, Büros, Boxringe und Schlagzeugschulen.
Es sind Treffpunkte für jeden Tag, die die Fans bieten. Und das entspricht nicht unbedingt dem Bild, das die Bevölkerung von ihnen hat. Die Torcidas sind sehr hierarchisch aufgebaut. Ihre Anführer gelten als korrupt. Vor allem bestimmt aber das Gewaltproblem das Bild. Gewalttätige Auseinandersetzungen untereinander und mit der Polizei fordern sogar Tote.
So könnten die Sambaschulen der Fans das Image der Torcidas sogar aufbessern. Denn auch, wenn der Ruf der Fußballfans schlecht ist, alle Torcidas haben Sozialprojekte. Sie spenden Blut, kümmern sich um Obdachlose, bringen Leben in den Stadtteil – über die Gemeindezentren und den Karneval.
Zwar gehören die meisten Sambaschulen nicht zu einer Torcida, aber: "Wir können die Menschen viel besser erreichen und zum Mitmachen bringen", sagt Silva Azevedo. "Andere Schulen müssen sich mehr Gedanken machen." Die Torcida animiere Menschen das ganze Jahr über und lädt sie ein. Zu Karnevalsplanungen und zum Fußballgucken. WM 2014 in Brasilien – das große Special
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Veröffentlicht am
28. Juni 2014
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