Was ist der perfekte Abschluss eines traumhaften Freundinnen-Wochenendtrips in Hamburg? Ganz klar, die Sonderausstellung "Fast Fashion – Die Schattenseiten der Mode" im Hamburger "Museum für Kunst und Gewerbe".
Laut Wikipedia gilt das MKG als eines der "führenden Museen für angewandte Kunst in Europa". Eine Aussage, der ich sofort Glauben schenke. Bereits von außen ist das MKG beeindruckend. Vornehm steht das große Gebäude aus den 1870er Jahren an seinem Platz. Doch wer aufgrund der hochherrschaftlichen Hülle mit altbackenen Ausstellungen rechnet, der irrt gewaltig.
Ständig kreative Ausstellungen
Egal ob "Tattoo", "Inside Out. Einblicke in Mode" oder "Raubkunst?", alle von uns besuchten Sonderausstellungen waren kreativ und hochmodern. Selbst die etwas gesetztere Dauerausstellung "Musikinstrumente" wies mit einem Schild darauf hin, dass einige Exponate für eine bald folgende neue Ausstellung entnommen worden seien.
Man hat hier nicht das Gefühl, als wäre man in einem würdevollen Museums-Tempel, der dem ewig Gestrigen heiligt, sondern als wäre man in einem lebendigen, pulsierenden, sich ständig verändernden Komplex. Dafür sprechen auch die Themen der Sonderausstellungen, die an Aktualität kaum zu überbieten sind.
Mode als Massenware
Für ermäßigt sieben Euro (normal zehn) steht dem Museumsbesuch nichts im Wege. Der Eintrittspreis ist zwar wirklich nicht günstig, für diesen Preis ist dann jedoch jede Ausstellung im Haus zu besichtigen – und die Garderobe kostet auch nicht extra.
Wir ärgern uns ein bisschen. Bis mein Zug abfährt haben wir leider nur noch drei Stunden Zeit. Nicht annähernd genug, um die Eintrittskarte wirklich auszunutzen und jeder der zahlreichen Ausstellungen einen Besuch abzustatten. Aber wir sind ja schließlich eh für die Ausstellung "Fast Fashion – Die Schattenseiten der Mode" gekommen.
Erst seit März diesen Jahres läuft die Sonderausstellung im zweiten Obergeschoss des Hamburger Museums. Das Thema der Ausstellung zeichnet sich schnell ab: Es geht darum, wie Mode in den letzten Jahrzehnten so viel günstiger, schneller und in größeren Massen produziert werden konnte und welche Folgen das hat.
Wollschafe und Angorakaninchen
Wie haben sich die Arbeitsbedingungen in Textilfabriken geändert? Wie werden Tiere wie Wollschafe oder Angorakaninchen behandelt? Welchen Einfluss hat die "Fast Fashion" auf die Umwelt? Und wie hat sich das Marketingkonzept der Modefirmen beziehungsweise das Kaufverhalten der Verbraucher geändert? Diesen und noch mehr Fragen widmet sich die Ausstellung inhaltlich.
Von Beginn an wird deutlich: Hier geht es um das Jetzt. Auf historische Rückblicke wird komplett verzichtet. Aufgrund der geringen Größe der Ausstellungsfläche ist das Weglassen des historischen Kontextes in meinen Augen eine sinnvolle Entscheidung.
Brutal Aktuelles ohne Historie
Zumal der Besucher sich ohne Rückblick vollends auf die Aktualität des Themas konzentrieren kann und nicht verwirrt zwischen den Zeiten hängt. Außerdem bleibt so mehr Raum für aktuelle Entwicklungen wie dem Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch im Jahr 2011, der unter anderem mit einer Fotostrecke in der Ausstellung dokumentiert wird.
Dabei ist die Ausstellung für Zartbesaitete nicht geeignet. Die Ausstellungsmacher setzen auf brutal ehrliche Bilder und Videos (zum Beispiel ein fünfminütiger PETA-Film über die Gewalt gegenüber Angorakaninchen und Wollschafen, der erst ab 18! freigegeben ist).
Aber auch über die Einbindung von Kunstprojekten wird der Besucher emotional berührt. Beispiel für so ein Kunstprojekt ist unter anderem eine Litfaßsäule mit befremdlich wirkenden Werbefotos im Stil der "Fast Fashion"-Industrie, die mit erschreckenden Zitaten von Textilarbeitern gemischt wurde.
Schock für Besucher
Die Besucher in hohem Maße zu schockieren, um eine Veränderung in ihrem Handeln und Denken zu erzielen, ist zwar altbekannt. In Ausstellungen habe ich dieses Prinzip jedoch erst selten gesehen. Doch auch Zahlen und Fakten werden in den Ausstellungstexten präsentiert, sodass die Ausstellung auch einen wissenschaftlichen und gut recherchierten Inhalt vorweisen kann.
Filme sind ein vorherrschendes Medium der Ausstellung. Drei große Leinwände laden zum Verweilen und Anschauen ein, als Hocker und Bänke dienen passend zum Thema große Ballen Altkleider. Daneben gibt es zig kleine Videos und Filme, die meist mit Kopfhörern zu benutzen sind.
Viele Filme, wenig Kopfhörer
Leider ist oft nur ein einziger Kopfhörer fest mit dem Video verbunden. Bei Videolaufzeiten von teilweise mehr als fünf Minuten sind lange Schlangen aus genervten, wartenden Besuchern hinter den Videostationen die Regel (jedenfalls an Sonntagen mit Mistwetter kurz nach Eröffnung). Aufgrund der begrenzten Ausstellungsfläche verstellen die Besucherschlangen dann gerne noch die anderen Exponate und Textfahnen. Hier muss dringend eine Lösung her. Warum ist es nicht möglich, vier oder fünf Kopfhörer zu installieren? Das kann doch nicht so teuer und aufwendig sein.
Zitate und Fotos online
Begleitet wird "Fast Fashion" von dem Online-Blog "Stilbrise Weltbewusst!". Hier findet man Hintergrundinformationen, weiterführende Zitate, und Events. Herzstück des Blogs sind allerdings Fotos von Besuchern der Ausstellung zu deren Kleidungsstil, dazu gibt es kleine Interviews mit den Fotografierten. Eine witzige Idee!
Fazit: Hut ab für eine sensationelle Ausstellung, die einen rauen und ehrlichen Blick hinter die Kulissen des Modezirkus wirft und ein wichtiges Thema anschaulich, modern und kreativ präsentiert. Mir jedenfalls haben sich die Bilder, Zitate und Fakten tief ins Gedächtnis eingeprägt. Besonders beim Blick in den Kleiderschrank oder bei einer Shoppingtour muss ich an die Ausstellung denken. Zwar habe ich einen Großteil des Inhalts auch vorher schon gekannt, durch die drastische Darstellung in "Fast Fashion" hat sie sich mir aber erst richtig eingebrannt. Selten habe ich so eine gute Ausstellung gesehen und das will schon was heißen. Absolut sehenswert!
Ein youNEWS-Beitrag von
Veröffentlicht am
14. April 2015
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