6000 Kilometer, 24 Tage, 10 Länder, 8 FreundInnen, 1 Bulli.


Die Idee entstand vor circa zwei Jahren nach einer gemeinsamen Fahrradtour von Berlin an die Müritz. "Nach dem Abi machen wir eine Europatour!", lautete die Parole. Diesen Sommer haben wir sie in die Tat umgesetzt. Wir, das sind: Becky, Charly, Eva, Freddy, Jonny, Lilli, Wiebke und ich.

Das Abitur hatten wir alle bestanden und somit konnten die intensiveren Planungen für die Zeit vom 4. bis zum 27. Juli beginnen. Erst nach Westen oder doch in den Osten? Nur die großen Städte oder viel Natur? Interrail oder mit dem Bus? Wir haben uns für Letzteres entschieden und für wenig Geld einen 15 Jahre alten Ford Transit gekauft. Er war weiß und sah so verdammt unschuldig aus. "So kann das aber nicht bleiben", dachten wir uns. Das Resultat dieser Überlegungen erfüllte dann sämtliche Klischees unserer geplanten "Hippietour". Auf der Motorhaube prangte fortan ein überdimensionales Peace-Symbol umschwebt von einer Vielzahl bunter Sterne. Die Fahrertür zierte Bob Marley; Palmen, Wellen und fliegende Bananen vollendeten das Bild. Die Aufmerksamkeit der AutobahnfahrerInnen war uns sicher!

Viel Zeit verbrachten wir nämlich auf eben jenen und diversen Landstraßen. Über 6000 Kilometer haben wir dabei zurückgelegt. Reden, schlafen, sssen, trinken, lesen, rausgucken, aber vor allem Musik hören: Das war das Spektrum unserer Beschäftigungsmöglichkeiten. (Das Lied unserer Tour war ganz klar "Disco Partizani" von Shantel. Aber auch Ohrbootens "Autobahn" haben wir rauf und runter gehört.)

Der erste Halt unserer Tour war alles andere als eine Metropole. Bei meinen Großeltern im unterfränkischen Castell (bei Würzburg) wurden wir bis zum Platzen verköstigt und als Vorzeigeenkel habe ich mir natürlich auch mehrfach nachgenommen. Am nächsten Morgen ging es dann "richtig" los. Prag lautete das Ziel! Außer Franz Kafka, der wohl zu jedem Haus Prags irgendeinen Bezug zu haben scheint, blieb mir vor allem unsere Rast an der historisch bekannten Deutschen Botschaft in Erinnerung. Kaum vorstellbar wie auf diesem kleinen Gelände mehrere tausend Menschen Unterkunft finden und letztlich den Weg in die BRD bewältigen konnten.

Da wir es nicht – wie geplant – in einem Rutsch bis nach Krakau geschafft hatten, entschieden wir uns ganz spontan, an einem polnischen See wildzucampen. Am nächsten Morgen ging es früh los, da wir auf dem Weg nach Krakau das ehemalige KZ Auschwitz-Buchenwald besichtigten. ("Besichtigen" ist viel zu euphemistisch. Ich habe noch nie einen stilleren Ort erlebt als diesen. Ein Ort, auf dem so viel Schande lastet. Ein Ort, der seine Existenzberechtigung nur daraus zieht, ein Mahnmal für die Menschheit zu bleiben.)

Krakau holte uns dann zurück aus der finsteren Vergangenheit des NS-Regimes. Eine blühende Stadt! Und so viele hübsche Menschen! Besonders beeindruckt hat mich ein Straßenkünstler, der in der Luft zu schweben schien. Auf den ersten Blick unglaublich, aber mittlerweile meine ich den Trick ausfindig gemacht zu haben. 😉

Von Budapest war ich persönlich allerdings eher enttäuscht. Es mag daran liegen, dass wir an einem Sonntag den typischen Touristenweg abliefen. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass wir das ungarische Nachtleben nicht mitbekommen haben, da es uns auf einem Campingplatz außerhalb der Stadt verschlagen hatte. (Dort hing übrigens ein Duschvorhang einer Düsseldorfer Firma. Das ist Globalisierung!) Immerhin gab es eine "Fortuna Ucta", eine Straße, die zu meiner großen Verwunderung nach einem Düsseldorfer Fußballverein benannt wurde. Was es nicht alles auf der Welt gibt, wenn man die Dinge aus einem unkonventionellen Blickwinkel betrachtet!

Am Balatonsee gönnten wir uns dann eine erste Städte-Auszeit. Zeit für mich, "Die Pest" von Albert Camus zu lesen und die ein oder andere Sure des Koran. (Wobei ich diesen nur angefangen habe zu lesen, zu monoton wirken die sich ständig wiederholenden Phrasen. Vielleicht bin ich aber auch noch nicht reif genug für dieses große Werk.)

Auf jeden Fall ging es an einem Tag einmal quer durch die Slowakei bis runter an die kroatische Küste (bei Rovinij). Da Kroatien noch nicht EU-Mitglied ist, herrschen an der Grenze mehr oder minder scharfe Kontrollen. In unserem Fall handelte es sich um die schärfste Variante, was möglicherweise am bereits beschriebenen äußeren Erscheinungsbild unseres Bullis gelegen haben könnte. Gut zwei Stunden lang wurde eben dieser komplett "auf den Kopf gestellt". Auch der Großteil unseres Gepäcks wurde intensivst untersucht. Irgendwann gab der (gut deutschsprechende) Zollbeamte dann jedoch auf. "Reicht für heute", mit diesen Worten entließ er uns ins wunderschöne Kroatien, das von deutschen TouristInnen nur so überfüllt schien. Auf dem am Hang gelegenen Campingplatz waren wir die absolute Attraktion, als wir unseren Bulli direkt vor der großen Wasch- und Toilettenanlage parkten. "Seid ihr eigentlich echte Hippies?", fragte ein schüchternes Mädchen in die Runde. Naja. Was ist schon ein Hippie im 21. Jahrhundert? Vielleicht ein Mensch, der mit guten FreundInnen quer durch Europa so unabhängig und unbeschwert wie nur irgendwie möglich unterwegs ist. Wenn das der Idealtyp eines heutigen Hippies ist, dann, ja dann sind wir DIE Hippies.

Weiter ging es am Mittelmeer bis nach Venedig. Auf dem Weg dorthin ereignete sich allerdings ein Malheur. Da wir gefühlt einen halben Kilometer ohne gültige Vignette auf der slowenischen Autobahn fuhren, durften wir 150 Euro Strafe zahlen. Juhu! Natürlich hatte es am Grenzübergang auch keine Information über eine solche Vignette gegeben und als man dann die (mautfreie) Bundesstraße nutzen wollte, passierte man unweigerlich die Kontrolle, die im Minutentakt weitere uninformierte VerkehrsteilnehmerInnen – vornehmlich aus dem europäischen Ausland – aus dem Verkehr zog. Das stärkt den europäischen Zusammenhalt garantiert. "Für die internationale Solidarität!"

In Venedig parkten wir dann für läppische 27 Euro und da wir in der Nacht weiter Richtung Gardasee fuhren, sparten wir uns so die Übernachtungskosten. Es wäre überflüssig an dieser Stelle zu erwähnen, wie schön Venedig mit seinen unendlichen Brücken und verwinkelten Gassen ist. Und trotzdem schreibe ich es, denn Venedig ist es allemal wert, besucht zu werden. Faszinierend finde ich vor allem, wie diese Stadt quasi "aus dem Meer gestampft" wurde. Unglaublich.

Am Gardasee war dann wieder chillimilli angesagt. Um Mitternacht feierten wir aber noch ordentlich in Evas 20. Geburtstag rein! Sie ist quasi unsere "Stammesälteste". (Wie gerne hätte ich selbst einmal im Sommer Geburtstag, der dann mit Rotwein, Chips und Musik an einem Bootssteg in Italien gefeiert wird!)

Genua empfand ich als potthässlich. Es war, als ob ein grauer, staubiger Schleier über einer im Koma liegenden Stadt läge. Zumindest war das mein erster Eindruck. (Gerne lasse ich mich eines Besseren belehren. Vielleicht habe ich aber auch einfach nur aus den ungünstigsten Perspektiven auf die Stadt geschaut.) Wir entschieden uns also dagegen, in Genua zu bleiben und fuhren weiter an der Küste Richtung Frankreich bis kurz nach Savona – mein persönliches Highlight der Tour! Eine Schlafstelle fanden wir in einem ausgetrockneten Flussbett unter Palmen (oder Pflanzen, die wie Palmen aussahen) unweit der Partypromenade am Mittelmeer. Dort zogen wir dann auch am späten Abend hin und tanzten zu feinster Ska-Live-Musik. So hätte meinetwegen jeder Abend aussehen können!

Die folgenden Tage wurden weitaus ruhiger und besinnlicher. Wir fuhren nach Taizé, einer Mischung aus Kloster, Pilgerort und christlichem Jugendcamp. Einige von uns waren bereits mehrfach dort, für die anderen war es eine komplett neue Erfahrung. Abgesehen davon, dass es täglich drei Gottesdienste gab und man ziemlich hartnäckig aufgefordert wurde, an den Bibelarbeiten teilzunehmen, habe ich dort ein wenig "auftanken" können. Vielleicht lag es aber auch einfach nur daran, dass ich endlich mal wieder Zeit zum Lesen hatte. ("Nachtzug nach Lissabon" von Pascal Mercier kann ich nur wärmstens empfehlen. Ein Lehrer bricht aus seinem bisherigen Leben aus und begibt sich auf die Suche nach einem portugiesischen Autor. Ein wahres Abenteuer voller Gedanken über Sprache, Gott, Erkenntnis und den Sinn des Lebens.)

Wie toll es ist, Menschen zu kennen, die das Wort "Gastfreundschaft" verinnerlicht haben, zeigte sich dann in Montmirail (Schweiz), Freiburg und Paris, wo wir jeweils kostenfrei bei Bekannten und Verwandten unterkamen.

Ich möchte für jeden Ort ein Highlight nennen: In Montmirail kamen wir in den Genuss einen echten Steinofen mit eigens belegter Pizza benutzen zu dürfen. In Freiburg feierten wir in dem Haus, in welches angeblich Campino (Sänger der Toten Hosen, meiner Lieblingsband) einst zur Schule gegangen sei. Und in Paris schliefen Freddy, Jonny und ich im Bulli auf der Rue Jean-Jacques Rousseau, während die Mädels fünf Stockwerke über uns Obdach bei einem Bekannten fanden. (Das Finale der Tour de France, dem ich beiwohnte, war nicht so der Knüller. Da war ein Haufen Männer, die schnell Fahrrad fuhren und wahrscheinlich zu einem Großteil irgendwelche illegalen Medikamente zu sich genommen hatten und auch heute noch nehmen.)

"Brügge sehen und sterben". Die ostbelgische Stadt war die letzte Station unserer Tour. Mir persönlich gefällt Brügge jetzt nicht so sehr, dass ich dort die letzten Tage meines Lebens verbringen möchte. (Vielmehr wird das wohl Heidelberg sein, wohin ich diesen Monat noch mit Jonny trampen und dort zelten werde.) Bezeichnenderweise regnete es, als wir am Morgen des 27. Juli unser Zelt abbauten. Zeit, nach Hause zu kommen.

Nun ist die Tour vorbei. Unsere Wege trennen sich. Die meisten von uns zieht es für ein FSJ ins Ausland, nur Charly beginnt direkt ihr Lehramtsstudium. Heute heißen die Wohnorte noch Düsseldorf, Hamm, Wiesbaden, Eckartshausen und Rheda-Wiedenbrück, doch demnächst kann ich als Neu-Bochumer behaupten, FreundInnen quer verteilt in ganz Deutschland, Frankreich, Tschechien, Venezuela und Südafrika zu haben.

Wir haben überlebt und sind erwachsener geworden. Doch was bleibt? Es bleibt die Erkenntnis, dass gute FreundInnen unabdingbar sind für ein glückliches Leben; der Wunsch, in einer Sozietät zu wohnen und zu leben; und zu guter Letzt die Vision von freien Menschen und einer besseren, einer gerechten, moralischen und solidarischen Welt.

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Veröffentlicht am 8. August 2011
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