Wie lange kann man ein einziges Lied spielen – und dabei alles verlieren und alles gewinnen?
Am vergangenen Wochenende verwandelte sich das Kleine Haus des Düsseldorfer Schauspielhauses im Rahmen des asphalt Festivals in ein energiegeladenes Spielfeld der Extreme: In “One Song”, einer Konzertperformance der belgischen Künstlerin Miet Warlop und dem Ensemble NTGent, wird ein einziger Song zur körperlichen und emotionalen Grenzerfahrung – für alle Beteiligten.
Schon beim Betreten des Theatersaals wird klar: Das hier ist kein normales Konzert. Die Bühne wirkt wie eine Mischung aus Fitnessstudio, Stadion und Rockbühne. Laufband, Schwebebalken, Turnmatten, ein Synthesizer an der Sprossenwand – dazu eine kleine Tribüne mit Fans in Vereinskluft. Die Musiker*innen nehmen ihre Positionen ein, aber statt gemütlich mit Gitarre im Sitzen beginnt hier ein Marathon.
Mit jeder Wiederholung mehr als nur Musik
Der Titel ist Programm: Es wird ein einziger Song gespielt – und das für eine ganze Stunde. Doch was auf dem Papier nach Wiederholung klingt, entfaltet auf der Bühne eine hypnotische Sogwirkung. Die Musiker*innen rennen, springen, spielen, schreien, verlieren den Halt, finden ihn wieder. Die Violinistin balanciert auf einem Balken, der Sänger läuft pausenlos auf dem Laufband, während der Schlagzeuger seine Beats durch den Raum hetzt. Der Song verändert sich stetig, wird mal fragmentarisch, dann wieder bombastisch. Es ist, als würde man einem Ritual beiwohnen.
Ein Spiel mit Energie, Erschöpfung und Gemeinschaft
Was “One Song” so faszinierend macht, ist die Mischung aus physischer Anstrengung und kollektiver Ekstase. Niemand steht im Mittelpunkt, alle tragen gleich zur Gesamtenergie bei. Die Performance zeigt, was es heißt, gemeinsam etwas durchzuziehen – auch wenn es weh tut. Eine Cheerleader-Figur feuert unermüdlich an, bekommt aber keine sichtbare Gegenliebe. Die Kommentatorin auf der Tribüne spricht wie im Rausch, analysiert, kommentiert, feuert an – manchmal wie aus einem Fiebertraum.
Zwischen Euphorie und totaler Erschöpfung entsteht eine kollektive Choreografie des Durchhaltens. Man könnte sagen: “One Song” ist das theatralische Gegenstück zu einem Ultra-Fanblock, aber mit mehr Bewusstsein für emotionale Tiefen und Widersprüche.
Was bleibt, ist das Gefühl
Der Song selbst – geschrieben von Maarten Van Cauwenberghe – handelt von Verlust, von Schmerz und dem Versuch, nicht daran zu zerbrechen. “Grief is here to stay”, heißt es an einer Stelle. Das trifft. Auch, weil die Performer*innen auf der Bühne genau das zeigen: dass man Schmerz nicht besiegt, sondern nur gemeinsam aushalten kann. Und dass darin eine seltsame Art von Schönheit liegt.
Fazit: Eine Stunde, ein Song, eine Wucht
“One Song” ist keine einfache Kost. Es ist laut, wild, manchmal chaotisch, manchmal beklemmend. Aber es ist auch ehrlich, intensiv und tief berührend. Für alle, die sich fragen, wie Theater heute aussehen kann – zwischen Konzert, Sportevent und Ritual – ist diese Performance ein Muss. Sie macht sichtbar, wie viel Kraft im Kollektiv liegt. Und sie zeigt, dass Wiederholung kein Stillstand ist, sondern Veränderung in Bewegung.