Düsseldorfer Jugendrat auf Bildungsfahrt in Berlin
13.04.2017
Vom 8. bis zum 12. April war der neue Düsseldorfer Jugendrat im Rahmen einer Bildungsfahrt in der Bundeshauptstadt Berlin. Dabei stand besonders die Auseinandersetzung mit der Demokratie und undemokratischen Systemen, wie dem NS-Regime und der DDR, aber auch das Kennenlernen untereinander im Vordergrund.
Nach einer 5-stündigen Fahrt mit dem ICE kamen die knapp 20 an der Fahrt teilnehmenden Jugendratsmitglieder am Berliner Hauptbahnhof an. Es folgten ein kurzer Fußweg zum Hostel und ein lang ersehntes Abendessen, ehe die Berlinfahrt mit einem Sightseeing durch den Regierungsbezirk eingeleitet wurde. Am Kanzleramt vorbei, dann zum Bundestag und schließlich bis zum Brandenburger Tor konnte die Gruppe den Ausführungen eines ehemaligen Jugendratsmitglieds und nun Mitarbeiters des Kanzleramts lauschen.
Eine Reise in die jüngste Vergangenheit
Am Folgetag stand ein Besuch in der Gedenkstätte Hohenschönhausen an. In deren Räumlichkeiten befand sich zunächst von 1946–1950 die Zentrale Untersuchungshaftanstalt der sowjetischen Geheimpolizei und danach bis zur deutschen Wiedervereinigung das Zentrale Untersuchungsgefängnis der Staatssicherheit (Stasi) der DDR. Tausende vor allem politische Gefangene wurden in dem Gefängnis anfangs physisch und immer stärker vor allem psychisch gefoltert. Es ist erschreckend mit welchen grausamen Methoden der DDR-Unrechtsstaat zum Teil jahrelang Menschen ohne Gerichtsprozess gefangen hielt und ihre Psyche zerstörte.
Beispielsweise wurden während der Vernehmung unter Anwesenheit des Häftlings fingierte Telefonate mit falschem Inhalt geführt. So hat man unter anderem so getan, als ob einem Angehörigen ein schlimmes Schicksal zugestoßen sei. In der Nacht war zum Schlafen die Rückenlage vorgeschrieben, die alle 15 Minuten überprüft wurde, um den Tiefschlaf der Häftlinge zu verhindern und sie somit psychisch anfälliger zu machen. Durch Isolationshaft, Ungewissheit und Desorientierung sind viele ehemalige Gefangene bis heute mit bleibenden Schäden belastet.
Kultur, Geschichte und Gemeinschaft boten spannende Abwechslung
Bei strahlender Sonne fand danach eine Spree-Rundfahrt durch das Zentrum Berlins statt, die durch Audioerklärungen die facettenreiche Geschichte der Stadt und einiger ihrer imposanten Bauwerke erlebbar machte. Am Abend besuchte die Gruppe den Bundestag. Diese Gelegenheit wurde für eine Kuppelbesteigung und für zahlreiche gemeinsame Fotos genutzt.
Das Kennenlernen Berlins wurde auch am nächsten Tag fortgesetzt. Im Rahmen einer Schnitzeljagd wurden historische Geschehnisse und architektonische Begebenheiten greifbar und am Ende gab es für die Gruppen einige Kleinigkeiten als Belohnung für die erfolgreiche Teilnahme. Gemeinsame Arbeit im Team und Zusammenhalt sind neben den zahlreichen interessanten Anekdoten eine wichtige Essenz, die aus diesem Programmpunkt mitgenommen werden konnte.
Konsumgüter als sichtbare Kennzeichen des Systems
Am Nachmittag besuchte der Jugendrat das Deutsche Historische Museum, in dem eine Führung durch die Exponate der neueren deutschen Geschichte ab dem zweiten Weltkrieg erfolgte. Dabei wurde besonders der große Kontrast zwischen den ehemals zwei deutschen Staaten, der Bundesrepublik Deutschland (BRD) und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) deutlich, der sich durch alle Lebensbereiche, wie die Arbeit, die Freizeit, den Haushalt und die Politik zog. Besonders sichtbar wurde dies an der Verfügbarkeit von Konsumgütern. Während in der Bundesrepublik kurz nach dem zweiten Weltkrieg die breite Verfügbarkeit neuartiger Waren besonders durch das "Wirtschaftswunder" aufkam, dauerte es in der DDR noch Jahre, bis vergleichbare Güter auf dem Markt waren und selbst dann war ihre Verfügbarkeit meist sehr beschränkt. Das finale Ereignis der Ausstellung war die Wiedervereinigung, die in weiten Teilen der Bevölkerung beinahe für unmöglich gehalten wurde, das geteilte Deutschland wieder zu einem Staat machte und auch die politische Verfolgung Andersdenkender in der DDR beendete.
Eine weitere Auseinandersetzung mit dem Demokratieverständnis erfolgte schließlich durch einen Workshop. Dabei wurden grundlegende Prinzipien des demokratischen Systems, wie das Mehrheitsprinzip, die Meinungsfreiheit und freie Wahlen als wesentliche demokratische Elemente festgemacht und Prinzipien wie der Laizismus (Trennung von Staat und Kirche) und die wehrhafte Demokratie in der Gruppe diskutiert.
Zwischen Hinrichtungen und Italien-Urlauben
Am vorletzten Tag fand ein Besuch des ehemaligen NS-Konzentrationslagers Sachsenhausen statt. Dort waren zwischen 1936 und 1945 mehr als 200.000 Menschen aus ca. 40 Nationen inhaftiert. Häftlinge waren zunächst politische Gegner des NS-Regimes, dann in immer größerer Zahl Angehörige der von den Nationalsozialisten als rassisch oder sozial minderwertig erklärten Gruppen (Juden, Homosexuelle, "Zigeuner" etc.) und ab 1939 zunehmend Bürger der besetzten Staaten Europas. Zehntausende kamen durch Hunger, Krankheiten, Zwangsarbeit und Misshandlungen um. Andere wurden Opfer systematischer Vernichtungsaktionen. So wurden hier im Herbst 1941 mindestens 12.000 sowjetische Kriegsgefangene ermordet. Die beteiligten SS-Männer erhielten anschließend einen mehrwöchigen Italien-Urlaub.
In einer dreieckigen Lagerarchitektur waren alle Häftlingsbaracken auf den "Turm A", den Sitz der SS-Lagerleitung gerichtet, von dem aus das ganze Lager überblickt werden konnte und welcher die Häftlinge auch symbolisch der absoluten Macht der SS unterwerfen sollte. Tausende Häftlinge wurden in umliegenden, speziell angelegten Betrieben unter erschreckenden Umständen als Arbeitskräfte eingesetzt, in denen es aufgrund von Erschöpfung und Misshandlungen fast täglich zu Todesfällen ("Vernichtung durch Arbeit") kam.
Der organisierte Mord fand in einem Krematorium mit Genickschussanlage und später auch durch eine Gaskammer, die die Tötungsprozedur "humaner" machen sollte, statt. Letzterer Nutzen bezog sich allerdings primär auf das Wachpersonal, denn ob der mitunter aufgrund von Erprobungen neuer Vergasungstechniken recht langwierige Tod den Betroffenen weniger Leid zufügte, als ein Genickschuss, darf bezweifelt werden. Das Krematorium und weitere Gebäude wurden aus bisher ungeklärten Gründen während der Zeit der sowjetischen Besatzung zerstört.
Für die Gruppe war der Besuch der Gedenkstätte eine prägnante Erfahrung. Das unglaublich Leid, den schrecklichen Mord und das grausame Unrecht, welche das NS-Regime verübt hat, konnte keiner begreifen. Wir dürfen dieses Vermächtnis nicht vergessen und müssen auch in Zukunft aus ihm lernen.
Kennenlernen um im Jugendrat Politik zu machen
Natürlich stand nicht nur die Auseinandersetzung mit der neueren deutschen Geschichte im Vordergrund der Fahrt. So war im Rahmen von Freizeitaktivitäten, einem Gruppenworkshop zu persönlichen Stärken und einem gemeinsamen, entspannten Essen am letzten Abend das Kennenlernen ein wesentliches Ziel der Fahrt. Die Interessen und Eigenschaften der anderen erfahren, mit ihnen in den Austausch kommen, Gemeinsames unternehmen – all diese Erfahrungen werden der Gruppe helfen, in Zukunft besser aufeinander einzugehen, Gemeinsamkeiten zu erkennen und Differenzen zu akzeptieren, was für die gemeinsame Arbeit im Jugendrat sicherlich förderlich sein wird.
Am fünften Tag war der Zeitpunkt für die Heimreise gekommen. Man fuhr mit den gleichen Personen, die gleiche Strecke, wieder im ICE und doch war es anders. Jeder erhielt ein kleines Heftchen, in das alle anderen Mitglieder etwas Persönliches zur Berlinfahrt notierten. Freude über das genauere Kennenlernen, Glück über die gemeinsamen Erinnerungen und vieles mehr fand den Weg in diese Heftchen, die anschließend jeder zurückerhielt. Diese positiven Notizen haben nicht nur die Reisezeit subjektiv verkürzt, sondern sind insbesondere ein Ausdruck dessen, wie sehr die Bildungsfahrt nach Berlin die Gruppe geprägt hat. Anders als auf der Hinfahrt saß im Zug keine Ansammlung von Jugendlichen mehr, sondern eine Gruppe, die meinen könnte, sie kenne sich schon seit geraumer Zeit. Eine Gruppe, die sich nun noch viel stärker gemeinsam für die Düsseldorfer Kinder und Jugendlichen engagieren will.
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