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Eine Capri-Sun voll Hoffnung (Serie: "Jungsein in Zeiten von Corona")

25.03.2021

Ich sitze an meinem Schreibtisch, meinen Laptop vor mir und höre die Verabschiedungen der einzelnen Schüler und unserer Lehrerin. Das Meeting ist zu Ende, zum Glück, denn sehr viel länger hätte ich diesen einseitigen Unterricht nicht ausgehalten. Meine Gedanken schweifen ab. Jeden Tag, jeden einzelnen Tag stecke ich in einem Glaskäfig. Ich bin mit schweren Ketten an die eine Wand gefesselt und auf der gegenüberliegenden Seite des Käfigs liegt die Tür. Nur komme ich dort nicht dran.

Egal, wie viel Zeit vergeht, ich komme nie weit genug, um die Tür zu erreichen. Und obwohl es doch gerade erst ungefähr ein Jahr ist, in dem ich mit diesem Käfig und den Ketten aus dummen Entscheidungen und naiven Politikern leben muss, so fühlt es sich doch an, als würde meine gesamte Jugend an mir vorbeiziehen. Direkt vorbei an den dicken Glaswänden meines selbst erschaffenen Käfigs. Es gibt keine Möglichkeit dort rauszukommen und irgendeinen dieser vorbeiziehenden Momente zu erwischen, es gibt keinen Weg selbst etwas Großartiges an meiner kritischen Lage zu ändern und es gibt kein Verständnis. Wieso auch? Ich kann mich doch zusammenreißen, die kurze Zeit durchhalten und mich nicht so anstellen.

Wieso sollte man Zeit mit seinen Freunden vermissen, warum sollte es schwieriger sein zu Hause zu lernen, aus welchem Grund sollte es einem während der Zeit in diesem Käfig mental schlechter gehen und, vor allem, wieso sollte ich auch nur eine meiner Sorgen und Probleme mit irgendjemandem teilen wollen? Alle anderen haben die Schule doch auch geschafft und haben sich nicht beschwert, dass sie nicht 24/7 feiern durften. Also stell dich nicht so an und gib dich mit dem Stückchen der Kette, der Freiheit, zufrieden, das wir dir gewähren.

Witzig. Unglaublich witzig. Denn ich freue mich über jedes einzelne Stückchen der Kette und das immer wieder, doch werde ich auch immer wieder kurz danach zurück an die Wand gezogen. Ein unendlicher Kreis. Mir wird Hoffnung geschenkt und kurz danach wird sie mir wieder aus den Händen gerissen. Jeden Morgen aufs Neue gibt es dieses kleine Fünkchen Hoffnung, dass der Glaskasten nur ein Traum war, doch dann spüre ich das kalte Metall an den Handgelenken, die schweren, rasselnden Ketten, die mich an der Wand halten und sehe die Tür. Die Tür, die so nah und gleichzeitig so unerreichbar ist.

Die Vorstellung, irgendwann durch diese eine Tür zu gehen und von den Ketten loszukommen wandelt sich jedes Mal von der Freude, dass das Leben endlich wieder normal verläuft, ich endlich wieder leben kann zu der beängstigenden Erkenntnis, dass ich gar nicht mehr wirklich weiß, was es bedeutet und dass die Freiheit außerhalb des Glaskastens alles andere als normal ist. Essen, shoppen, ins Kino gehen, selbst ein Schulalltag in der Schule ist zu etwas Unüblichem, etwas Besonderem geworden.

Genau aus diesem Grund träume ich gern und ich wünschte, ich würde es jetzt gerade tun, aber ich sitze noch immer in dem Glaskasten, ohne Aussicht auf Entkommen und hoffe auf ein Wunder. Ein eigentlich ziemlich gewöhnliches, aber selten gewordenes Wunder. Einsicht, denn Hoffnung unbedacht zu schenken, ohne selber an den Sieg zu glauben, macht die Hoffnung zu nichts als einem bedeutungslosen Köder. Mit der Zeit wird die mit Luft gefüllte Capri-Sonnen-Packung genauso begehrenswert wie die Leere und vor allem bringen sie einem beide absolut gar nichts.

Investiere ich allerdings ein wenig mehr Zeit, gehe den Umweg zum Supermarkt und hole eine neue Capri-Sonne, dann habe ich etwas davon, so komme ich zum Sieg. Und obwohl ich wirklich gerne träume, kann ich meinem persönlichen Mr. Darcy nur außerhalb meines Glaskastens begegnen, ich kann nur außerhalb meines Glaskastens in mein eigenes Wunderland fallen und ich kann erst mit dem Bau meiner Schokoladenfabrik beginnen, wenn ich es aus meinem Käfig geschafft habe.


Autorin: Sina Rupp

Dieser Text ist im Bildungsgang "Sprache und Literatur" an der Lore-Lorentz-Schule entstanden. Im Rahmen des Faches Literatur verfassten die Schülerinnen und Schüler der elften Klasse Kurzgeschichten zum Thema "Jungsein in Zeiten von Corona".

von Sina Rupp

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